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Der Mittelstand Spaniens

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Nördlich der Pyrenäen ist es üblich, von Spanien als einem „Land ohne Mittelstand" zu sprechen. Ausländische Studienreisende, auch namhafte Soziologen haben seit Jahrzehnten mit diesem Wort ihre Beobachtung so oft zum Ausdruck gebracht und begründet, daß es fast sinnlos scheint, gegen einen zum Vorurteil gewordenen Gemeinplatz anzukäropfen. Zudem scheint ihn eine sehr gewichtige spanische Stimme zu rechtfertigen: Unamuno sagte, einmal recht verächtlich von seinem Zeitgenossen Pėrez Galdds: „Seine Romane handeln nur von der verdammten lyllttel- klasse, die weder Klasse noch mittel ist."

Aber Unamuno tat diesen Ausspruch am Anfang des Jahrhunderts als junger Dozent in Salamanca, und er wollte damit das Bestehen eines Mittelstandes als klassenbewußte Bevölkerungsgruppe überhaupt abstreiten, nicht nur für Spanien, Was aber im besonderen Spanien betrifft, so stellte in einem Referat, das auf der XI. Sozialen Woche zu Barcelona im April vorigen Jahres über das Thema »Der evolutionäre Prozeß des Mittelstandes in Spanien" gehalten wurde, Juan E. Luque Dfaz zwei Thesen auf: 1. Der spanische Mittelstand war ein Geschöpf des Liberalismus des 19. Jahrhundert er hat hundert Jahre gelebt, und gegenwärtig kann man ihm den Totenschein ausstellen. 2. Ein neuer Mittelstand ist im Werden. Vergleichbare Zahlenwerte gab, ebenfalls auf der XI. Sozialen Woche in Barcelona, der Direktor der Studienabteilung des Nationalen Instiuts für Statistik, Josė Ros Jimėnez. Nach ihm hat die soziale Struktur des heutigen Spaniens folgendes Aussehen — wobei bei der Unterscheidung des Mittelstandes vom Proletariat die aus dem Zensus erhaltenen Ziffern der Steuern und Abgaben, in der Begrenzung der Oberschicht indessen außerdem die Daten der Adelsstatistik herangezogen wurden:

Oberschicht (Blut-, Gefctes und Wirtschaftsadel 0,1%,

Mit 34,1 Prozent entspricht die Stärke des spanischen fast genau jener des deutschen Mittelstandes, die Theodor Geiger 1934 mit 34 Prozent angab. Vergleichsweise sei noch die Stärke der Mittelklasse in England angegeben mit 37 Prozent (nach Roy Lewis und Angus Maude 1949): in Frankreich mit 40 Prozent (nach Oualid 1937).

Was in Spanien jedoch ins Gewicht fällt, ist, daß eine ganze Reihe von Untergruppen des Mittelstandes infolge unzureichender Schule und Bildung, infolge eines anderen, primitiveren Lebensstils nach mitteleuropäischen Begriffen nur schwer in den Mittelstand eingereiht werden kann, den doch immerhin außer seinen ökonomischen Merkmalen auch ein gewisser Grad eines kulturell gehobenen Lebensstiles charakterisiert. Hingegen haben jene Untergruppen des Mittelstandes, die von den selbständigen Handwerkern, den kleinen und mittleren Kaufleuten gebildet werden, wenn sie nicht schon, wie in Katalonien, seit Jahrhunderten über Ansehen und wirtschaftliche Stärke verfügten, infolge der Zwangsbewirtschaftung der letzten fünfzehn Jahre, bei mangelnder Überwachung und machtloser Preiskontrolle, so hohe Gewinne aus ihrer selbständigen Tätigkeit ziehen können, daß sie nunmehr zum ge- hQbenen neuen Mittelstand gezählt werden können, der sich nunmehr einer relativen wirtschaftlichen Sicherheit erfreut und,bald Gelegenheit haben wird, seine Stellung zu legalisieren, da mit großer Wahrscheinlichkeit bald eine allgemeine Amnestie für die Wirtschaftsvergehen der vergangenen anormalen und nunmehr- nahezu abgeschlossenen Epoche die gehorteten Kapitalien aus ihren Verstecken hervorlocken wird.

Lenken wir unsere Aufmerksamkeit aber auf die anderen Vertreter des Mittelstandes, auf die Beamten, Ärzte, Professoren, Techniker, die freien Berufe und Lehrer.

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