"Der Körper ist nur noch Rohstoff“

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Immer mehr Frauen (und Männer) quälen sich mit Diäten und Schönheits-Operationen. Die britische Psychotherapeutin Susie Orbach erklärt im FURCHE-Interview, warum.

Sie hatte Lady Di auf ihrer Couch - und Tausende andere Frauen mit Ess- und Körperschemastörungen. Auf der 30. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe in Wien hat Susie Orbach über das Phänomen des Körperhasses referiert - und mit der FURCHE darüber gesprochen.

Die Furche: Frau Orbach, Sie bezeichnen den weiblichen Körper als Kampfplatz. Warum?

Susie Orbach: Weil ein regelrechter Krieg um den Körper der Frauen - und zunehmend auch der Männer - herrscht. Es ist einfach sehr profitabel, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie ständig etwas verbessern müssen. Der Unterschied zu anderen Kriegen besteht nur darin, dass es hier nicht darum geht, jemand anderen zu töten, sondern sich selbst und seinen eigenen, verhassten Körper.

Die Furche: Weil dieser Körper als "falsch“ empfunden wird?

Orbach: Genau. Aus der Entwicklungspsychologie kennen wir das Phänomen, dass Kinder, die unter schwierigen Verhältnissen aufwachsen, sich oft als "falsche Person“ erleben. Mit den Körpern passiert etwas Ähnliches. Viele Mädchen sehen ihn als "Produkt“, das es zu optimieren gilt, und nicht als etwas, in dem sie ganz selbstverständlich leben können.

Die Furche: Vor 34 Jahren haben Sie in "Fat is a Feminist Issue“ den Magerwahn kritisiert. Was hat sich seither verändert?

Orbach: Es ist viel schlimmer geworden! Damals waren vor allem Frauen in einem bestimmten Alter betroffen und jene, die in der Öffentlichkeit standen. Heute haben wir das Phänomen der "demokratisierten Schönheit“: Jeder muss schön sein! Du musst mit sechs Jahren genauso schön sein wie mit 80! Außerdem geht es darum, den Körper in eine Marke zu verwandeln. Er ist nichts anderes mehr als ein Rohstoff, den man bearbeiten muss.

Die Furche: Gleichzeitig nimmt auch Fettleibigkeit zu. Wie passt das zusammen?

Orbach: Das sind zwei Seiten einer Medaille. Beiden Phänomenen zugrunde liegt ein gestörtes Verhältnis zum Essen und zum Appetit, und in beiden Fällen geht es um Rebellion gegen gesellschaftliche Ideale. Unser größtes Problem ist aber meiner Ansicht nach nicht Magersucht oder Fettleibigkeit, sondern die allgemeine Besessenheit vom Body-Mass-Index.

Die Furche: Wie kann man diese Besessenheit, diesen Zwang zum "perfekten Körper“ reduzieren?

Orbach: Zum einen müssten die Hochglanzmagazine wieder mehr Vielfalt zulassen. Man kann schließlich Körper jeder Dimension glamourös in Szene setzen. Zum anderen müsste man mit der Modeindustrie daran arbeiten, schöne Kleider in allen Größen zu entwerfen. Und schließlich müsste man das Bewusstsein dafür schaffen, dass "Fotoshopping“, also das digitale Schönen von Fotos, nicht o.k. ist.

Die Furche: Der Erfolg solcher Vielfalts-Initiativen ist bislang bescheiden: Das Frauenmagazin "Brigitte“ hat drei Jahre lang nur mit Laien-Models gearbeitet - und ist nun teilweise wieder zu superschlanken Profis zurückgekehrt. Und auf den Laufstegen tummeln sich noch immer viele "Size Zero“-Figuren…

Orbach: Dieser Wandel braucht eben Zeit. In Amerika und Kanada gibt es immer mehr Mode-Häuser wie "macy’s“, die mit Frauen in allen Größen arbeiten. Noch wichtiger ist es, jungen Mode-Studierenden beizubringen, wie man Hosen, Röcke und Kleider für verschiedene Proportionen entwirft.

Die Furche: Sollte man in Schulen verstärkt thematisieren, was es heißt, "normal“ zu essen?

Orbach: Auf jeden Fall, wobei das manche Kinder vielleicht gar nie erfahren haben, weil sie schon als Baby gemästet wurden oder Essen nicht als Genuss, sondern als Behandlung erleben mussten. Zuerst müsste man aber ihren Müttern helfen, ihren Körper zu akzeptieren - und sie etwa vom Zwang zu befreien, sechs Wochen nach der Geburt wieder aussehen zu müssen wie früher.

Die Furche: Kommen wir zum zweiten Körper-Kampfplatz, der Schönheitschirurgie: Sie erzählen gern die Geschichte von einem Psychoanalytiker-Kongress in Brasilien, wo Sie offenbar die einzige Frau waren, an deren Körper nicht herumgeschnipselt worden war…

Orbach (lacht): Einige Kolleginnen haben damals gesagt: "Was ist mit der los? Die hatte keine OP!“ Das Interessante dabei ist, dass es bei solchen Eingriffen ja darum geht, den Körper entsprechend unserer Symbole und Fantasien zu verändern, während die Psychoanalyse gerade weg vom Konkreten hin zum Symbolischen kommen will. Ich bin über diese Entwicklung erschüttert: Wir haben unseren Blick so verändert, dass jemand, der so aussieht wie ich, gleichsam illegal geworden ist.

Die Furche: Das klingt so, als ob das feministische Eintreten für mehr weibliches Körper- und Selbstbewusstsein vorderhand gescheitert wäre…

Orbach: Ich bin mir da nicht so sicher. Erst vor Kurzem habe ich gemeinsam mit zwei anderen Frauen ein Buch namens "50 Shades of Feminism“ konzipiert, das am 8. März 2013, dem Internationalen Frauentag, erscheinen soll. (Der Titel ist eine Anspielung auf den umstrittenen Sado-Maso-Bestseller "Fifty Shades of Grey“, Anm.) Wir haben dafür binnen zwei Wochen 50 Autorinnen aus der ganzen Welt gewonnen, auch viele jüngere. Und in unserer Organisation "Endangered Bodies“ (vgl. www.endangeredbodies.org) gibt es viele junge Feministinnen, die sich engagieren. Ich bin also pessimistisch und optimistisch zugleich.

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