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Friede zwischen zwei Schwestern

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Vor kurzem wurde das Projekt einer neuen, zeitgemäßen Schelde- Rhein-Verbindung vom niederländischen Parlament einstimmig gebilligt. Damit wäre ein Stein des Anstoßes, der dem guten Einvernehmen zwischen Belgien und den Niederlanden so lange hinderlich im Wege stand, beseitigt und dürfte sich der scharfe, nicht immer in fairer Weise ausgetragene Konkurrenzkampf zwischen den Schwesterstädten Antwerpen und Rotterdam nunmehr zu einem friedlichen Wettbewerb und zu freundschaftlicher Zusammenarbeit entwickeln. Antwerpen bekommt endlich den heißersehnten, unentbehrlichen, kurzen und den heutigen Verhältnissen angemessenen Wasserweg zum Rhein und somit zum deutschen Hinterland.

Schon einmal, 1927, waren die diesbezüglichen Verhandlungen so weit gediehen, da wies der Senat den Plan entschieden zurück. Das aber wird sich gewiß nicht wiederholen. Heute versteht man die Sorgen und Hintergedanken nicht mehr, die die damaligen Senatoren sich wegen der angeblichen Verletzung der niederländischen Souveränität und der bedrohten Zukunft von Rotterdam machten, falls die Regierung gestatten sollte, daß Belgien — wie der Dichter Boutens sich reichlich gespreizt ausdrückte — „so rücksichtslos ins niederländische Fleisch schneide”.

Antwerpens Aufstieg

Als das goldene Zeitalter für Brügge vorbei war, als die Schifffahrtswege des erwachenden Welthandels nicht mehr in erster Linie durchs Mittelmeer sondern über den Atlantischen Ozean führten, gewann Antwerpens Hafen schnell an Bedeutung. Die Trennung zwischen den Nord- und Südniederlanden im Jahre 1648 verstärkte die Rivalität der großen Hafenstädte Rotterdam und Antwerpen. Damit Antwerpen die Schwingen nicht allzuweit ausschlagen und Rotterdam vielleicht eines Tages gar überflügeln könnte, mußte die Scheldemündung in niederländischen Händen bleiben. Die Schelde wurde nicht die Grenze, ein Streifen flandrischen Bodens, das linke Scheldeufer, gehört zum Territorium der Niederlande. Das wurde auch nicht anders, nachdem der erste Weltkrieg gezeigt hatte, welche gefährliche Konsequenzen aus einer derartigen Situation für die Niederlande erwachsen könnten, wenn sagen wir ein englisches Kriegsschiff den mit Krieg überzogenen Belgiern zu Hilfe eilen wollte. Obgleich Belgien 1919 bei den siegreichen Mächten in Versailles um eine Lösung der Scheldefrage einkam, ließ der Versailler Vertrag auch diese Schwierigkeiten auf sich beruhen. Hollands Prestige litt anscheinend keine Grenzrevisionen.

Napoleons großer Plan

Auch die Frage der Schelde- Rhem-Verbindung hat eine lange Geschichte. Napoleon erkannte bereits deren Bedeutung für Antwerpen und Westeuropa. Aus seinem kühn geplanten Canal du Nord, der Antwerpen direkt mit dem Rheinland verbinden und bei Düsseldorf in den Rhein münden sollte, wurde unter König Wilhelm I. die bescheidene Süd-Willemsvaart, eine Verbindung von Lüttich und Hertogenbosch.

Es war gewiß keine freudliche Geste Antwerpen gegenüber, als die Niederlande, um die Inseln Seelands aus ihrem Isolement zu befreien, im Jahre 1860 statt einer Eisenbahnbrücke einen Bahndamm quer durch die Ooster Schelde bauten. Die Hoffnung auf einen kürzeren Weg zum Rhein schien für Antwerpen wieder einmal in weite Ferne gerückt.

Wie überaus wichtig diese Verbindung für den Hafen wirklich ist, geht aus der Tatsache hervor, daß die Rheinfahrt 60 Prozent des totalen Güterverkehrs von Antwerpen umfaßt. Immerhin hat diese Rheinfahrt seit dem zweiten Weltkrieg nur geringfügige Fortschritte ge-macht, steht vielmehr noch auf der Höhe des Jahres 1938, während zum Beispiel Amsterdam seit 1952, als es über den Amsterdam-Rhein-Kanal verfügen konnte, den Rheinverkehr um das Fünffache steigen sah.

Neue Bedenken aus Belgien

Merkwürdigerweise werden, da nun die Niederlande den Wünschen Antwerpens in großzügigster Weise entgegengekommen sind, in Belgien Stimmen laut, die sich dem neuen Projekt widersetzen. Gent, der zweite Hafen des Landes, fürchtet gänzlich in den Schatten von Antwerpen zu geraten. Ein Abgeordneter der Stadt ließ sich in der ersten Aufregung zu dem pathetischen Hilfeschrei hinreißen: „Gents Leben und Tod sind in eurer Hand, Niederländer!”

Ernster wäre schon der Widerstand aus Wallonien zu bewerten. Fast hat es den Anschein, als wollten sich an der Lösung der Scheldefrage die alten Gegensätze zwischen Flamen und Wallonen aufs neue entzünden. Der ökonomische Rat und die wallonischen Mitglieder der Kommission für auswärtige Angelegenheiten beschwerten sich darüber, daß das wallonische Maaswasser, dessen die Industrie und die Landwirtschaft so sehr bedürfen, künftig dazu dienen solle, das neue Deltameer zu speisen, das die Niederlande, ohne Belgien auch nur zu Rate zu ziehen, schaffen werden. Auch wird beanstandet, daß die Niederlande nur 15 Prozent der Totalkosten des 260-Millionen-Pro- jektes für ihre Rechnung nehmen, während sie große Vorteile wie etwa die nun möglich gewordene Industrialisierung ihres Südwestens davontragen. Lüttich, die große Stadt Walloniens an der Maas, sei weit mehr an einer Maas-Rhein-Verbindung interessiert als an der Schelde-Rhein-Politik der Benelux.

Die neugeplante Schelde-Rhein- Verbindung ist, wie auch die vor kurzem fertiggestellte Moselkanalisierung, die das Zentrum der französischen Stahlindustrie direkt mit dem Rheinland und den Hafen der Nordsee verbindet, für die ökonomische Integration Europas von hervorragender Bedeutung.

der Demokratisierung eingeschlagen oder steckt es, wie manche befürchten, in der Phase der Dekomposition?

Darauf gibt es vorerst keine Antwort. Wohl aber ist nicht zu übersehen, daß nach den Erdölfunden im Knoblauchtal und angesichts der

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