kirsch - © Foto: picturedesk.com / akg-images / Bruni Meya

Sarah Kirsch: „Ich wollte meinen König töten“

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Sarah Kirsch gilt als eine der wichtigsten deutschen lyrischen Stimmen der Nachkriegszeit. Zunächst publizierte sie in der DDR, danach lebte sie in Tielenhemme in Schleswig-Holstein. Vor zehn Jahren, am 5. Mai 2013, starb die Dichterin in Heide.

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Sarah Kirsch gilt als eine der wichtigsten deutschen lyrischen Stimmen der Nachkriegszeit. Zunächst publizierte sie in der DDR, danach lebte sie in Tielenhemme in Schleswig-Holstein. Vor zehn Jahren, am 5. Mai 2013, starb die Dichterin in Heide.

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Das schmale, vergilbte rororoBändchen erschien 1981 und trägt den wenig spektakulär anmutenden Titel „Erklärung einiger Dinge“. Es enthält Gespräche mit der Lyrikerin Sarah Kirsch, unter anderem eines, das im April 1978 in einem Westberliner Gymnasium stattgefunden hat. Die Dichte der kritischen Anfragen erstaunt. Die Schülerinnen und Schüler fragen Sarah Kirsch zu konkreten Formen, etwa warum diese Zeilenwechsel und ob die Dichterin nicht meine, dass die Gedichte dadurch schwieriger zu lesen und zu verstehen seien; sie fragen, ob es Leserinnen und Leser nicht schrecken könnte, wenn sie die Zusammenhänge nicht erkennen; und sie fragen, warum Sarah Kirschs Gedichte auch politisch verstanden worden sind – würden solche Interpretationen in die Gedichte nicht mehr hineinlesen, als in ihnen steht beziehungsweise von ihr, der Autorin, gemeint war?

Die Antworten der Lyrikerin auf die klugen und direkten Fragen der jungen Lesenden bringen nicht nur die harte Arbeit an der Sprache zum Vorschein, die den nur scheinbar leichten Gedichten Sarah Kirschs zugrunde liegt, sondern führen oft ins Zentrum ihres lyrischen Schaffens. Warum, wird sie gefragt, schreibe sie in einem Gedicht vom „König“, wenn sie doch vielleicht konkret den „Staatsratsvorsitzenden“ meine? Und man könnte, ein anderes Gedicht aufgreifend, nämlich „Ich wollte meinen König töten / Und wieder frei sein“, da gleich weiterfragen: Wer ist der Herrscher, wer beherrscht das Ich? Und was heißt hier „töten“?

„Ich“ sagen

Wie sehr lohnt doch der genaue Blick. Zum Beispiel auf das „Ich“ in Sarah Kirschs Texten, die noch in der DDR entstanden sind. Denn dort lernte die als Ingrid Bernstein am 16. April 1935 im Südharz geborene Dichterin, was sie im Gespräch mit der Literaturkritikerin Iris Radisch einmal sagte: „‚Ich sagt man nicht.‘ Das Ich gibt man auf. Man ist ‚man‘ oder ‚wir‘.“ Und doch gibt es in den „Zaubersprüchen“ ein Gedicht, das sogar „Ich“ heißt: „‚Ich stand / Auf eigenen Füßen“. „Das war für DDR-Verhältnisse ganz tüchtig. Wir mussten doch immer etwas Allgemeines schreiben […] Das Ich-Sagen war mein Glück.“

Widerstände schon durch das „Ich“-Sagen. Während Sarah Kirsch trotzdem noch gefeierte Lyrikerin der DDR war, verstand man im Westen schon, diverse Kassiber in ihren Texten zu lesen, etwa im Gedicht „Nachricht aus Lesbos“, das ebenfalls 1973 im Band „Zaubersprüche“ erschien und mit den Zeilen beginnt: „Ich weiche ab und kann mich den Gesetzen / Die hierorts walten länger nicht ergeben“.

Als Sarah Kirsch den Westberliner Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort stand, hatte sie gerade erst mit ihrem kleinen Sohn die DDR verlassen. Vorausgegangen war die Ausbürgerung von Wolf Biermann und der darauffolgende Protest, den Kirsch unterschrieben hatte. „Wenn ich in einem Haus bin, das keine Tür hat / Geh ich aus dem Fenster“ wird sie 1979 im Band „Drachensteigen“ schreiben, im Gedicht „Trennung“.

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