Rätsel um die bärtige Frau am Kreuz

19451960198020002020

Im Tiroler Stift Stams wird in einer Ausstellung den Spuren der legendenumwobenen "heiligen Kummernus" (Kümmernis) nachgegangen.

19451960198020002020

Im Tiroler Stift Stams wird in einer Ausstellung den Spuren der legendenumwobenen "heiligen Kummernus" (Kümmernis) nachgegangen.

Werbung
Werbung
Werbung

Es was ains haydnischen kuniges tochter die was schön und weys" ... So beginnt die Legende auf dem Einblatt-Holzschnitt von Hans Burgkmair, Augsburg, 1502/07. Es handelt sich hier um eine der ältesten Dokumentationen einer "Frau am Kreuz", nämlich der heiligen Kümmernis, einer gekreuzigten Märtyrerin mit Vollbart, die seit dem Mittelalter in Mittel- und Westeuropa unter verschiedenen Namen verehrt wurde. So ist sie auch als Wilgefortis (virgo fortis) bekannt, als Liberata oder auch als Uncumber ... In Süddeutschland und Österreich heißt sie Kummernus oder Kümmernis - eine Heilige, zu der man seinen Kummer trägt, von der man Hilfe erhoffen darf.

Bei uns fast in Vergessenheit geraten, wird die Kümmernis nun anläßlich einer Sonderausstellung im Tiroler Stiftsmuseum Stams, Oberinntal, als "Frau am Kreuz" zum ersten Mal in alten Darstellungen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert wieder in Erinnerung gerufen. Und erstaunt darf man feststellen, wie tief die Verehrung dieser legendären Erscheinung im Volk verwurzelt war.

Ilse Friesen von der kanadischen Universität Wilfrid Laurier in Waterloo, Ontario, die in Innsbruck studierte und zur Zeit an einem Buch mit dem Titel "The Female Crucifix" arbeitet, gelang es, nach längeren Studien, verbunden mit Forschungsfahrten, um die 30 Kümmernis-Abbildungen in Nord- und Südtirol ausfindig zu machen und damit maßgeblich zur Ausstellung im Stift Stams beizutragen. "Sowohl auf dem Gebiet der Kunstgeschichte als auch auf dem der Theologie kann bewiesen werden", betont Friesen, "daß die ,Frau am Kreuz' keine moderne oder gar feministische Erfindung ist. "Diese Darstellungsform läßt sich bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen."

Sie wurzelt in einer Legende, derzufolge die Kummernus - eine heidnische Königstochter, die zum christlichen Glauben übergetreten war - einen ungläubigen Königssohn heiraten sollte. Da bat sie Christus, sie so zu entstellen, daß kein Mann sie jemals mehr begehren würde. Und siehe da! - der Bart wuchs über Nacht; er machte sie zwar als Frau unattraktiv, aber im Aussehen Christus ähnlich. Der erboste Königsvater ließ die Bärtige daraufhin kreuzigen, sagt die Legende. (Jedenfalls ist Kummernus nicht die einzige Frau, die je gekreuzigt wurde, und auch nicht die einzige, der man einen starken Bartwuchs nachsagte!)

Gegen unliebsame Ehemänner?

Wilgefortis am Kreuz aber wurde zu einem weiblichen Kruzifix, zu dem sich besonders die Frauen in Krankheit von Mensch und Vieh oder in Eheschwierigkeiten flüchteten. Ihr Ruhm reichte bald bis nach England, wo der Humanist Thomas Morus öffentlich kritisierte, daß man St. Uncumber nicht nur dazu gebrauche, das Vieh zu heilen, sondern auch dazu mißbrauche, unliebsame Ehemänner loszuwerden. Besonders volkstümlich wurde die Heilige durch die Geschenke, die sie angeblich großzügig verteilte. In Fortführung der mittelalterlichen Legende heißt es daher, daß die Kummernus einem armen Geigerlein, das unter ihrem Kreuz sein Liebeslied spielte, einen goldenen Schuh herunterfallen ließ, um ihn reich zu machen. Als der Spielmann jedoch gehenkt werden sollte, weil er des Diebstahls bezichtigt wurde, ließ die Gekreuzigte dem Fiedler erneut den Goldschuh zu Füßen fallen. Auf diese Weise wurde aus der gekreuzigten Prinzessin und dem Musikanten ein tragisches Liebespaar, das sich jedoch nur im Tod begegnete.

Soweit der Volksglaube. Die Gelehrtenwelt aber sieht die Wurzel der Legenden um die bärtige Jungfrau und ihre Abbildungen in einem berühmten mittelalterlichen Kruzifix, dem Volto Santo ("Heiliges Antlitz") aus Lucca, Italien. Diese Holzstatue aus dem 12. Jahrhundert, zeigt den bärtigen Christus im langen Gewand. Sie ist möglicherweise die Kopie eines noch viel älteren Kruzifixes byzantinischer Tradition. Die Wissenschaft meint, daß die Legenden um die heilige Kümmernis von einem Mißverständnis um die zahlreichen Abbildungen des Volto Santo herrührten.

Zur Zeit Kaiser Maximilians waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse jedoch noch nicht so weit gediehen. Der Letzte Ritter adoptierte im Zuge der Stärkung seiner burgundischen Herrschaftsansprüche die zahlreichen Heiligen des Burgunderhofes, zu denen auch die Kumini gehörte. Und auf diese Weise konnte er die Pilgerströme auf die Gebiete nördlich der Alpen verschieben, was seinen wirtschaftlichen Nöten sehr zupaß kam!

Uns Menschen von heute bleibt nur, Legende und Wissenschaft gegeneinander abzuwägen, die teils reizvoll, teils unheimlich anmutenden Dokumentationen über die Kümmernis in ihrer bildlichen Darstellung in neuem Licht zu sehen und zu würdigen.

Bis 27. September

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung