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St. Kümmernis in Österreich

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Mit St. Kümmernis, der fraulicher Idealgestalt vom absinkenden Hochmittelalter her bis zum ersten Weltkrieg - die letzten Votive stammen aus dem Pustertal und der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen —, weitete sich im alten Österreich, einschließlich Slowenien, Kroatien und Friaul, selbst in etlichen Siedlungen Ungarns, eine Kultlandschaft an diesem Menschheitsmotiv aus. Formen-und farbenkräftige Vor- und Sinnbilder wurden in der Darstellung der von ihrem heidnischen Vater gefesselten und nun in den Himmel aufgenommenen Königstochter wirksam: etwa auf dem burgundischen Meßornat des heiligen Vlieses aus der Zeit um 1440

oder durch die frommen Andenken dei “Florian Waldauf. Dieser wollte sein&#171; wunderliche Sammlung in einem eigenen Haller Heiltumbuch der Allgemeinheit naherücken. Erst 400 Jahr&#171; hernach ließ es der kunstsinnige Konservator J. Garber aus Südtiro' drucken. Waldauf, aus dem Puster taler Dörflein Anras, hatte sich schor im Korbiniankirchlein des nachbar liehen Thal-Assling als Motiventräge und Mäzen verewigt. Er war vornehm-lieh der getreue Ritter und Kunstberater Kaiser Maximilians I. auf dessen kühnen Fahrten ins Burgundererbe Dabei erkor er sich viele Andenket an Patroninnen, darunter Kümmernis Vertreterinnen, die aber der Humanis mus als Eutropia (Veränderung) un< Caritas (Fürsorge) getauft hatte, so daß sie den Kümmernisforschern bisher entgingen.

Diese Abbildungen sagten noch nichts über Charakter, Tun und Verändern des Helfers als der schließlichen Helferin aus. Ihr Illustrator aber war niemand anderer als der Augsburger Zeichner und Maler Hans Burgkmair der Ältere. Er brachte bald darauf den geläufigsten Holzschnitt der Kümmernis heraus und nannte sie zusammen mit dem legendenumwobe-nen Luccheser Schnitzbild der byzantinisch-romanischen Kunstepoche, das gewöhnlich als V o 11 o s a n t c schlechthin bezeichnet wird. Damit stellte er eine bildliche Beziehung zwischen jener Mythengestalt, naci ihrer Legende einer Anhängerin Christi in heidnischer Umwelt und schließlich Gekreuzigten, und der frühen Darstellung der am Kreuz thronenden Ma-jestas domini her. Diese Bindung hielt zunächst Hagiographen, dann Volkskundler in Atem und förderte umfangreiche Publikationen zutage, ohn< volle Gewißheit zu bieten. So wurd< etwa angenommen, daß die Vorstellung von der gekreuzigten Kümmernis infolge eines Mißverstehens der haargescheitelten und mit Rock bekleideten Figur aus dem Prototyp de! Luccheser Volto santo hervorgegangen sei.

Die mythische Helferin

Selche Annahmen wurden jedoer gerade von Österreich aus stark angezweifelt und zunächst mythologiscr zu berichtigen gesucht. Das Probien wird im zweiten Band der neuesten Festschrift, die zur Vollendung des 80. Lebensjahres des Herausgebers des Kümmerniswerkes von Schnürer-Ritz, des Bahnbrechers der kirchlichen Volkskunde, Univ.-Prof. DDr. Georg Schreiber, im Verlag Aschendorff zu Münster i. W., erscheint, zum Anlaß genommen, um die Geschichte der bildlichen Entwicklung der Kümmernis von der dahinter wirksamen fraulichen Volksfigur, der mythischen und mystischen Helferin und Mittlerin, zunächst zu scheiden und beider tatsächlicher Neben- und Miteinander vor allem durch österreichische Überlieferungen klarzulegen.

An verschiedenen Kruzifixen etlicher Länder der byzantinisch-romanischen Epoche, zum Beispiel auch solchen Pustertals, das noch heute durch monumentale Kreuzschöpfungen jener Zeit bis herauf in die Gegenwart auffällt, läßt sich erhärten, daß das Standbild von Lucca auf die Kreuzesgestaltungen und Volksvorstellungen keineswegs den gemeinhin vorgebrachten entscheidenden Einfluß nahm. Der Luccheser Volto santo erfuhr vielmehr selbst Einkleidungen und Zusätze durch andere Kruzifixe, die den Wandel zum Salvator m u n d i, von den Vorstellungen des göttlichen Gesetzgebers, Weltenrichters und Christkönigs zu solchen des Erlösers und Befreiers aus menschlichen Nöten, unter stärkerer Anpassung an das Menschliche, veranschaulichen. Man erinnere sich an das Bild Jans van Eyk aus dem Jahre 1438, an Hans Memling, Tilman Riemenschneider oder an die Hochaltargestalt der alten Wiener Rathauskapelle, die zunächst als die des heiligen Haymo aufgenommen wurde, bis Papst Leo X. 1515 dieser Verwechslung entgegentrat und der Kapelle den Namen des Salvators sicherte. Einkleidungen von gestrengen Kruzifixen zu menschlicher empfundenen, schließlich zu Kümmernisgestaltungen wurde niemals solche Richtiestelluno- zuteil.

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