6687125-1962_21_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Sage vom armen Spielmann

Werbung
Werbung
Werbung

Die Zutaten der Vorstellungsveränderungen weisen auf die Festigung des neuen Typus, Sammelbegriffs und Menschheitsmotivs der helfenden Kümmernis im 14. Jahrhundert hin. Der Zug der Teilnahme Christi an menschliche Bedrängnisse und der Belohnung für solche Teilnahme um seinetwillen tritt in der Gestalt des armen Spielmanns ersichtlich hervor. Er hat nach der Überlieferung in tiefer Erschütterung das Kreuzlied der Gekreuzigten vorgegeigt. Sie aber ließ daraufhin als ihr letztes Abgebbares ihm einen ihrer kostbaren Schuhe zufallen. Dieser wäre dem Geiger freilich fast zum Verhängnis geworden, weil man ihn des Diebstahls zieh, wenn er als der nun ebenfalls zum Tod Verurteilte nicht gebeten hätte, nochmals vor der Crucifixa aufspielen zu dürfen, worauf ihm noch der zweite Schuh und beiden die Volksteilnahme zuteil wurden.

In mittelalterlichen Spielmannsdichtungen wurde gern ein Spielmann handelnd vorgeschoben, so schon im „König Rother“, der sich noch an hochadelige Personen wandte, erst recht in Dietrichepen des breiten Volkes. Da gab es Dichtungen vom Rosengarten, König Laurin, König Oswald und mehrere andere.

Das aus England stammende Oswaldepos, das in wesentlichen Zügen dem am Rhein und in Franken gleichkommt, berichtete, daß der christlich gewordene König Oswald sich um die schöne Tochter eines heidnischen Königs bewarb, die jedoch ihr Vater selbst besitzen wollte, und die Oswald daher erst nach verschiedenen schweren Abenteuern zur Taufe und Trattttug zu iüJw^Bi^BBpchtefuEs war, eigentlich noch ein heidnischer .Brautraub, freilich unter christlichen Aspekten. Die Begehrte wußte sich als Mann mit Bart zu verhüllen, kurz, unsere Kümmernis stellt das bräutliche Seitenstück zum heiligen Oswald und Parallelen zu anderen christlichen Heldinnen der Volksepik dar.

Noch fehlt uns eine zeitgenössische Aufzeichnung einer Spielmannsdichtung der Kümmernis selbst. Aber auch die des heiligen Oswald ist uns nur in Heiligenbüchern überliefert, nicht etwa im „Heldenbuch an der Etsch“ oder in einem der ersten gedruckten Volksbücher um 1500. So müssen wir uns noch mit frommen bildlichen und spärlichen mündlichen Volksüberlieferungen, den verschiedenen Legendenfassungen der Kümmernis, wie bei den meisten ihrer Schwesterheiligen, begnügen.

Wenngleich St. Kümmernis, weil urkundlich als konkrete Einzelperson nicht erweisbar, seit der Aufklärung und Säkularisierung, dem bewußten Loslösen vom Jenseitigen, im besonderen vom Mythischen und Mystischen der christlich-deutschen Frühzeit, aus der Geschichte allmählich schied, damit hernach im Kirchenkalender und Kult der genannten überlieferungsstarken Länder versank, blieb sie doch eine ideal ausgeprägte Figur der germanischen Länder und ihrer Nachbargebiete, die aus tiefer Frömmigkeit, echtem religiösen Empfinden und humanem Sinn heraus im Zuge der Vermenschlichung solcher Idole geformt war.

Die Zahl der Bildzeugnisse ist trotz vieler Einbußen der beiden letzten Jahrhunderte . beträchtlich geblieben und reicht noch über tausend hinaus. Mindestens ein Sechstel fällt dem alten Österreich zu, rund hundertfünfzig allein Tirol. Sein südlichstes ladinisches Fassatal verknüpft nochmals die Legende der Kümmernis mit Motiven der Dietrichepen, mit der Sage vom nahen Rosengarten. Das kennzeichnet die schöpferische und zähe Kraft verklärender Volksphantasie und ihr Zielen auf erhabene Vorbilder in Landschaft und Leben, wodurch die Volksfigur zu einem sinnfälligen Menschheitsmotiy geworden waj.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung