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Bomben gegen die NATO

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Ottawa — von Neidern einst „West-minster der Wildnis“ genannt und von Sir Wilfrid Laurier (dem größten Staatsmann der Franko-Kanadier) als „Washington des Nordens“ bezeichnet — war kürzlich eine Zeitlang in den Brennpunkt des Weltinteresses gerückt: Die Außenminister der NATO hielten ihre Frühjahrstagung. Was aber die Knadier betraf, war die Anwesenheit von Dean R u s k, Lord Horns, Schröder, Couve de M u r v i 11 e, Dirk S t i k k e r und anderer Staatsmänner der NATO-Länder fast von den Drohungen der Front de Liberation Quebecois überschattet, deren Bomben in Montreal bereits Todesopfer und bedeutende Sachschäden verursacht hatten. Drohbriefe der franko-kanadi-schen Seperatisten an Hotels in Ottawa, führten in der Hauptstadt zu Bomben„jitters“ und als Gegenmaßnahme zu besonderen Vorkehrungen zum Schutz der Staatsmänner.

Die Tulpen der Königin

„Es ist erstaunlich, daß es im Kanada des 20. Jahrhunderts eine Geheimorganisation gibt, die mit Terror ihr

Ziel erreichen will“, bemerkte der „Toronto Star“, Kanadas größte Tageszeitung.

Groß-Ottawa ist zu 43 Prozent „franko-kanadisch“. Diese Tatsache und der Umstand, daß 33 Prozent der lokalen Arbeitsmacht Staatsangesteilte sind, geben dem Ort eine besondere Note. Ottawa hat mehr als eine Million Tulpen — Geschenke von Hollands Königin Juliane, die hier während des Krieges herzliche Gastfreundschaft fand —i und ein Meer von Farben gab der Stadt zur Zeit der NATO-Konfe-renz einen besonderen, buntschillernden Zauber.

Premierminister P e a r s o n, erst seit den Aprilwahlen im Amt, war ein sehr beschäftigter Mann. Seine Regierung hatte gerade das erste Mißtrauensvotum (mit 124 gegen 113 Stimmen) überstanden. Doch Pearson, der Friedensnobelpreisträger, hat sich noch nicht recht an seine neue Position gewöhnt. Dies erklärt, warum er soeben im Parlament seinen Amtsvorgänger (und nunmehrigen Oppositionsführer) Diefenbaker als „Prims Minister“ ansprach.

Sprengstoff im Briefkasten

Während die Regierung der Provinz Quebec einen Preis von 50.000 Dollar auf die Ergreifung der Bombenwerfer aussetzte, hat Montreals Polizeichef, Adrien Roberts, einen 200 Mann starken „Anti-Terrorist-Squad“ aufgestellt, dessen einzige Aufgabe die Verhaftung jener Männer ist, die von der Presse als „Mörder, doch keine Patrioten“ gebrandmarkt werden. Die lebensgefährlichen Verletzungen die Sergeant-Major Walter L e j a bei der Entfernung von Bomben aus Montrealer Briefkästen erlitt, haben die Lage weiter verschärft. (Die restlichen „Bombs“ wurden schließlich von dem Einwanderer Hermann Friede, der während des Krieges in Deutschland die Bomben der Alliierten unschädlich gemacht hatte, entfernt.)

Obwohl die Bomberwerfer der Front de Liberation Quebecois, nur

einen winzigen Teil der 5,300.000 Einwohner Quebecs — von denen mehr als 80 Prozent Französisch als Muttersprache haben — zu repräsentieren scheinen, darf ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden. Auch weite Kreise der Franko-Kanadier sind der Ansicht, daß ihre Volksgruppe, die immerhin 28 Prozent der Bevölkerung dieses riesigen Landes bildet, ihren „Platz an der Sonne“ erkämpfen muß, doch auf demokratische Weise. Beispielsweise nehmen Franko-Kanadier nur zehn Prozent der Positionen im Staatsdienst ein und auch die Ausbeutung der unendlich reichen Naturschätze Quebecs erfolgt vorwiegend durch amerikanisches und anglo-kanadisches Kapital. Kennzeichnend für die vorherrschende Stimmung war die Erklärung, die Quebecs liberaler Premier Jean Lesage von wenigen Tagen in London machte:

„Franko-Kanadier blicken immer zur britischen Krone — als Schutz gegen die Anglo-Kanadier!“

Nur die bewegten Geschehnisse der jüngeren Zeit führten dazu, daß viele Kanadier die Beschlüsse der NATO-Konferenz in Ottawa nicht mit jenem Interesse verfolgten, die in ruhigeren Tagen eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre...

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