Ein Bauernhof für alte Menschen

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In einem Altersheim im südburgenländischen Pinkafeld bekommen betagte, pflegebedürftige Menschen eine Chance auf ein Leben mit neuen Aufgaben und einer neuen Verantwortung.

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In einem Altersheim im südburgenländischen Pinkafeld bekommen betagte, pflegebedürftige Menschen eine Chance auf ein Leben mit neuen Aufgaben und einer neuen Verantwortung.

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Daß die Möglichkeit da ist, Kontakt mit den Tieren zu haben, das ist das Positive an diesem Haus, das ist so herzerwärmend." Die 90jährige Angela Schirigi lebt erst seit wenigen Monaten im "Burgenlandhaus", dem Altersheim der Evangelischen Diakonie im südburgenländischen Pinkafeld. Ihr Leben lang hat sie "einen speziellen Draht" zu Tieren gehabt und sich - vielleicht auch deshalb - hier besonders schnell eingelebt.

Die Anwesenheit von Tieren wirkt sich positiv auf den Menschen aus; das ist nicht neu. Im "Burgenlandhaus" hat man sich dieses Wissen zunutze gemacht: neben den zum Großteil aus dem ländlichen Gebiet des Südburgenlandes stammenden Senioren gehören auch Pferde, ein Hund, Gänse, Enten, Hühner, Hasen sowie Vögel, Fische und Schildkröten zu den Heimbewohnern.

"Alle unsere Tiere haben eine positive Wirkung, sowohl auf die Bewohner als auch auf die Mitarbeiter des Hauses", bestätigt Gottfried Piff, der Leiter des etwas anderen Altersheimes. Das Streicheln der Tiere und der Körperkontakt bewirken eine Beruhigung der Herzfrequenz, die Tiere im Garten sind ein willkommener Anlaß für die Heimbewohner, mehr Zeit im Freien zu verbringen; und auch das Problem, kein Brot wegwerfen zu müssen (undenkbar für viele ältere Menschen!), da man es getrocknet den Tieren mit Freude verfüttern könne, erledigt sich in Pinkafeld auf positive Weise. Ganz besonders gute Erfahrungen hat der Heimleiter auch mit alkoholkranken älteren Menschen gemacht: sobald sie kleine Aufgaben im Zusammenhang mit den Tieren übernehmen und somit das Gefühl haben, Verantwortung zu tragen, haben sie ihr Problem besser unter Kontrolle.

Gottfried Piff hat die Leitung des "Burgenlandhauses" vor elf Jahren eigentlich als Karenzvertretung seiner Frau übernommen. "Den Lebensabend gestalten statt verwalten" nannte er seine Projektarbeit zur Qualifikation zum Heimleiter. Bis zur heutigen Ausprägung des "therapeutischen Bauernhofes" in Pinkafeld war es ein längerer Weg. Begonnen hatte alles mit seinem Hund "Blacky", einer Labradormischung, die ihn von Anfang an oft an seinen Arbeitsplatz begleitete. "Blacky" schaffte es, einen ganz speziellen Zugang zu den Herzen der Heimbewohner des "Burgenlandhauses" zu finden. Im Lauf der Zeit entstand auf dem drei Hektar großen Grund rund um das Altersheim im Rahmen einer möglichst lebensnahen und positiven "Umfeldgestaltung" der "therapeutische Bauernhof" mit Pferden, Hühnern, Gänsen, Hasen und anderen Tieren. (Auf Katzen als Haustiere wurde in Pinkafeld bewußt verzichtet, da diese im Umfeld von inkontinenten Personen zur intensiven Markierung "ihres Reviers" neigen).

Zuerst nur belächelt "Als wir das Projekt Streichelzoo nannten, wurden wir belächelt", erzählt Gottfried Piff, "als therapeutischer Bauernhof haben wir sogar in anderen Bundesländern schon Nachahmer gefunden". Wichtig ist es ihm, festzuhalten, daß der alte und pflegebedürftige Mensch im Mittelpunkt aller Arbeiten und Bemühungen im "Burgenlandhaus" steht. Die Tiere sind "nur" ein wichtiger Faktor.

Der Großteil der Heimbewohner kommt aus dem ländlichen Gebiet und hat ein Leben lang mit Tieren zu tun gehabt. Wer möchte und kann, übernimmt auch im "Burgenlandhaus" Pflege und Fütterung der Tiere. Das gibt den Senioren das Gefühl, daß ihr Wissen und ihre Erfahrung gebraucht und geschätzt werden und hebt so ihr Selbstwertgefühl.

Licht und Farbe Leopold Schuch zum Beispiel aus dem burgenländischen Riedlingsdorf hat jahrelang bei einem Bauern gearbeitet. Im "Burgenlandhaus" fühlt er sich für viele der Tiere verantwortlich und hilft, so gut er kann: den Hühnern die Eier abnehmen, den Hasenstall ausbessern und anderes mehr. Besonders gerne übernimmt der Pensionist die Aufgabe, Besuchern "seine" Tiere zu zeigen.

Gisela Ernst aus Kukmirn ist schon seit sechs Jahren im Haus. Früher war sie jeden Tag draußen bei den Tieren. Aber jetzt hat die betagte gehbehinderte Frau Angst vor dem Hinfallen; sie ist ängstlich geworden. Dabei hat sie im Lauf ihres Lebens so viel mit Tieren zu tun gehabt. Mehr als 40 Jahre lang war sie in Deutschland auf einem Bauernhof beschäftigt.

66 Betten stehen im "Burgenlandhaus" zur Verfügung, 32 Mitarbeiter betreuen die Heimbewohner. Gerade erst ist der Um- und Neubau fertiggestellt worden. Heimleiter Gottfried Piff ist stolz auf die freundliche Architektur. Natürliche Lichtquellen und helle Farben waren ihm ein spezielles Anliegen. So ist die Einrichtung der Zimmer aus hellem Holz gefertigt, nirgendwo ein Stahlrohrbett, und doch entspricht alles den höchsten - auch medizinischen und therapeutischen - Ansprüchen. Die Vorhänge sind sonnengelb, die Gänge so konzipiert, daß auch zwei Rollstühle problemlos aneinander vorbeifahren können. Viele Heimbewohner haben Familienfotos an die Wände ihrer Zimmer gehängt, einige sogar eigene Möbelstücke mitgebracht.

Stolz zeigt Gottfried Piff auch die Kapelle. Das moderne Glasfenster mit dem Bild vom Sämann stellt die Verbindung zur auf der anderen Straßenseite gelegenen evangelischen Stadtkirche her. Eine eigentlich "evangelische Kapelle" in einem von der Evangelischen Diakonie betriebenen Altersheim. Doch für die Heimleitung ist die Religionszugehörigkeit der Senioren kein Thema. Auch der katholische Pfarrer ist ein gerngesehener Gast im Haus, in der Kapelle werden auch katholische Messen gelesen.

Beliebtes Ausflugsziel Die freundliche Architektur und die fast familiäre Atmosphäre nehmen auch Besucher positiv wahr: "So viele meiner älteren Angehörigen waren schon da, und nie hat einer auch nur ein einziges Mal gejammert und wenn's sein soll, komm ich auch einmal her", erzählt eine rüstige Besucherin im 2. Stock. "Aber der Herrgott kann mich ruhig auch zu Hause im Bett sterben lassen", fügt sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu.

Eine besondere Anziehungskraft hat das Haus mit den vielen Tieren auch auf Kinder. Leider konnte ein Projekt, das einen Kindergarten gleich gegenüber des Altersheims vorsah, nicht verwirklicht werden, aber Kinder kommen immer wieder ins Haus. Auch sie muntern die älteren Heimbewohner wieder auf und erhöhen deren Lebensfreude. Die drei Kinder des Ehepaars Piff gehören so wie die Kinder der Mitarbeiter des Hauses zu den ständigen gerngesehenen jungen Gästen. Regelmäßig kommen auch ganze Kindergarten- und Schulklassen zu Besuch.

Darüberhinaus ist das "Burgenlandhaus" ein beliebtes Ausflugsziel für Pensionisten- und Seniorengruppen. Ihnen möchte man durch diese Besuche auch etwas von der "Schwellenangst" nehmen, die viele angesichts des Gedankens, ihren Lebensabend in einem Altersheim zu verbringen, haben.

Die "Ghettoisierung" der Heimbewohner zu verhindern ist ein wichtiges Anliegen der Heimleitung. Aus diesem Grund wurde die zentrale Lage des "Burgenlandhauses" gleich gegenüber der evangelischen Kirche fast im Zentrum der 5.000-Seelen-Gemeinde Pinkafeld einem größeren Areal außerhalb des Ortsgebietes vorgezogen. Drei Hektar Grund sind nicht viel für den von Freunden und Mitarbeitern selbst angelegten kleinen Fischteich, die Pferdekoppel, den Hasenstall, den Hühnerhof und die Vogelvoliere. Aber geschickt angelegte Wege, Bankerl und Kinderspielgeräte nutzen das vorhandene Areal bestmöglich.

Im Hof des "Burgenlandhauses", gleich neben der Vogelvoliere, steht auch ein alter Stall. So wie bei vielen der Heimbewohner früher zu Hause hängen getrocknete Kukuruzkolben von den Holzbalken, altes Werkzeug wurde zusammengetragen und dient heute der Dekoration. Stichwort "Umfeldgestaltung".

Die meisten Anrainer und Nachbarn stehen dem Projekt positiv gegenüber. Nur gelegentlich gibt es Beschwerden wegen des Lärms aus dem Hühnerhof oder auftretender "ländlicher" Geruchsbelästigungen.

Ruhe & Entspannung Keinen Ärger mit den Nachbarn, aber viel Freude schenken auch die Tiere, die im Haus selbst wohnen: das sind neben "Blacky", dem Labradormischling - der sein eigentliches Zuhause natürlich im Haus der Piffs hat - vor allem der Vogelkäfig in der Aufenthaltshalle im 2. Stock und das Aquarium im 1. Stock. Vögel und Fische sind besonders für jene Heimbewohner, die nicht gut zu Fuß sind, zu speziellen Freunden geworden. Sie liefern - genau wie die Schildkröten im eigens errichteten Terrarium - Gesprächsstoff. "Es beruhigt ungemein, die Fische und Krebse im Aquarium zu betrachten", sagt der Heimleiter, "man wird ruhiger und entspannt sich völlig". Die Fütterung der Tiere im Haus haben einzelne Heimbewohner übernommen, Reinigung und Kontrolle obliegen einem Mitarbeiter des Hauses.

Angela Schirigi hat, obwohl sie erst seit kurzem im "Burgenlandhaus" ist, das Gefühl, daß die Tiere sie schon erkennen. Tiere spielten schon immer eine wichtige Rolle im Leben der 1910 geborenen Frau. Aus alten Aktenmappen zieht sie schwarz/weiß-Fotos ihrer längst verstorbenen vierbeinigen Lieblinge hervor: ein Schäferhund, eine Siamkatze und viele andere. In ihrem Badezimmer hortet die "Tiernärrin" Karotten und Äpfel für die Pferde; auf ihrem Fensterbrett sitzt in der kalten Jahreszeit immer ein Singvogel. "Blacky" kommt in ihr Zimmer und wird herzlich begrüßt.

"Wir älteren Menschen haben schon so viel erlebt", sagt sie, "auch viel Negatives. Das macht das Herz hart. Aber die Tiere können es wieder aufwärmen. Und das macht auch die spezielle Atmosphäre dieses Hauses aus und wirkt sich sogar positiv auf die zwischenmenschlichen Kontakte aus." Weniger Bissigkeit, so erzählt sie überzeugend, habe sie deshalb hier erlebt.

"Burgenlandhaus" Altersheim der Evangelischen Diakonie in Pinkafeld, Burgenland Leiter: Herr Gottfried Piff. Tel: 03357/42436

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