"Wir sind keine Bettler"

Werbung
Werbung
Werbung

Frauenorganisationen in Sri Lanka schätzen die Hilfe, die aus aller Welt für die Tsunami-Opfer eingetroffen ist. Sie kritisieren aber auch das Vorgehen mancher NGOs, die nicht ausreichend mit den lokalen Organisationen zusammenarbeiten. Ein Gespräch mit Chitra Maunaguru, einem aktiven Mitglied der srilankischen Frauenbewegung.

Die Furche: Frauenkoalitionen in Sri Lanka haben ihre große Sorge über den Ablauf der Hilfsprogramme nach der Tsunami-Katastrophe zum Ausdruck gebracht. Was ist bei den Hilfsaktionen falsch gelaufen?

Chitra Maunaguru: Die erste Reaktion auf den Tsunami kam zunächst von der Zivilgesellschaft. Bewohner nicht betroffener Dörfer verteilten Essen und von den Plantagen in den Bergen kamen Menschen mit Lastwägen voller Nahrungsmittel und Wasser angefahren. Sie alle waren zur Stelle, noch bevor die großen internationalen Organisationen eintrafen. Doch das wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Auch das Haus meiner Familie wurde von der Welle beschädigt und wir waren völlig geschockt. Aber bereits drei Tage danach machten wir uns im Surya Women's Development Centre an die Arbeit. In Batticaloa bildeten wir eine Frauenkoalition für Katastrophenmanagement und auch auf nationaler Ebene organisierten sich die Frauen in der "Koalition für vom Tsunami betroffene Frauen". Erst mit dem Eintreffen der internationalen ngos wurde auch die Regierung aktiv und alles ging plötzlich sehr schnell - allerdings ohne die betroffenen Menschen miteinzubeziehen. Auf einmal war zum Beispiel die Rede davon, die Opfer des Tsunami in relativ weit entfernte Regionen umzusiedeln und dort Wohnhausanlagen für sie zu errichten. Das entspricht aber nicht unserem Lebensstil.

Die Furche: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Vorgehensweise?

Maunaguru: Es ist vor allem die grundsätzliche Einstellung der internationalen ngos, die uns Sorge bereitet. Sie haben viel Geld von Spendenaktionen und wollen zeigen, dass sie etwas damit machen. Allerdings konsultieren sie dabei nicht die lokalen Organisationen. Erst als wir unser Statement veröffentlichten, begannen manche Organisationen mit uns zu reden, was eigentlich von vornherein ihr Auftrag gewesen wäre. Die Frauenkoalition wurde dann zu einigen Treffen mit ngos eingeladen und fand auch Beachtung vom Frauenministerium.

Die Furche: Welche Konsequenzen hat das Verhalten der internationalen ngos für die Organisationen vor Ort?

Maunaguru: Das Problem ist, dass die internationalen ngos alle wichtigen Entscheidungen treffen und das Konzept, das Geld und das Monitoring liefern und die kleinen lokalen Gruppen somit zu Ausführungsorganen degradiert werden. Diese Vorgehensweise nimmt den lokalen Gruppen ihre Stärken, die sie in all den Jahren des Bürgerkriegs gesammelt haben: die Fähigkeit zu verhandeln und mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Das ist sehr gefährlich, denn die großen ngos bleiben ja nur sechs Monate oder vielleicht ein Jahr hier. Wir aber müssen weitermachen und deswegen sehr darauf achten, dass wir unsere Stärke nicht für Geld aufgeben.

Die Furche: Der Kritik der Frauenorganisationen zufolge wurden auch die speziellen Bedürfnisse von Frauen in einer solchen Krisensituation nicht ausreichend beachtet ...

Maunaguru: Wir haben festgestellt, dass an der Errichtung und Verwaltung der Notlager kaum Frauen beteiligt waren, geschweige denn Einheimische. Die meisten Camps werden von Männer geplant und geleitet, welche die Probleme der Frauen einfach nicht erkennen können oder wollen. Probleme gibt es allerdings viele: Frauen werden diskriminiert, es kommt zu sexueller Belästigung und in manchen Fällen sogar zu Vergewaltigungen. Aber über all diese Probleme sprechen Frauen nicht so schnell. Sie wenden sich damit auch eher an vertraute Personen, die schon länger in der Region tätig sind.

Die Furche: Mit welchen konkreten Versäumnissen hatten die Frauenorganisationen zu kämpfen?

Maunaguru: Nach dem Tsunami suchten die Menschen Zuflucht in öffentlichen Gebäuden. Darunter befanden sich zum Beispiel auch Mütter mit Neugeborenen und schwangere Frauen, die eine besondere Betreuung benötigten. Durch Gespräche erfuhren wir, dass viele Mütter zögerten, öffentlich und vor fremden Männern ihre Babys zu stillen. Wir ersuchten also darum, in jedem Notlager einen Raum für Frauen abzutrennen - dafür braucht es ja nur ein Stück Stoff oder Plane und eine Schnur - in dem sich Frauen umziehen, ihre Babys stillen und Mädchen und Frauen, die unter Menstruationskrämpfen leiden, sich hinlegen können. Wir drängten auch darauf, dass es eigene Toiletten und Waschplätze für Frauen geben sollte. Im Dorf benutzen natürlich alle denselben Teich zum Baden, aber es gibt verschiedene Badestellen für Frauen und Männer.

Die Furche: In ihrer Kritik stellen Frauengruppen die herrschenden Opfer- und Hilfsbegriffe in Frage. Wie sollten Ihrer Ansicht nach die Tsunami-Opfer behandelt werden?

Maunaguru: Die unmittelbare Notsituation dauert vielleicht zwei oder drei Wochen an. In einer zweiten Phase gilt es, Übergangsquartiere zu schaffen. Dann sollte man den Menschen dazu verhelfen, ihr Leben möglichst schnell wieder selbst in die Hand zu nehmen. Jetzt sind allerdings bald drei Monate vergangen und viele leben noch immer in Notquartieren. Dabei wäre es so wichtig, dass sich das Leben wieder normalisiert. Die Menschen befinden sich zwar in einer schlimmen Situation, aber sie haben überlebt, sind nicht verrückt geworden und wollen weiterleben. Sie wollen ihre kleinen Geschäfte und ihren Handel wieder aufnehmen und sagen: "Wir sind keine Bettler! Helft uns, wieder Arbeit zu finden, damit wir uns selbst unser Leben neu aufbauen können." Auf dieser inneren Stärke der Menschen sollte man aufbauen. Die Frauenorganisationen betreiben deshalb auch Lobbying dafür, dass die Menschen die nötigen Werkzeuge und Geräte erhalten.

Die Furche: Woran liegt es, dass trotz aller Spenden, die Interessen der betroffenen Menschen nicht immer im Vordergrund stehen?

Maunaguru: Wir sind dankbar für die großzügigen Spenden aus aller Welt und respektieren auch die guten Absichten aller Organisationen, aber es fehlt an Verständnis für unsere Kultur. Ein Mann aus einem Dorf erzählte zum Beispiel, die Menschen hätten Angst, in der Nacht zur Küste zu gehen. Ein Vertreter einer internationalen ngo meinte daraufhin, man werde eben für Küstenwache sorgen. Der Einheimische sprach aber von Angst vor den Geistern der Toten. Wir glauben, dass die Geister von Menschen, die eines gewaltsamen Todes sterben, umherirren und den Lebenden schaden. Aber der Vertreter der ngo konnte das einfach nicht verstehen.

Das Gespräch führte Brigitte Voykowitsch.

Frauen-Power in Sri Lanka

Chitra Maunaguru lehrt Tamilisch und Gender Studies an der Universität von Batticaloa im Osten von Sri Lanka und ist seit vielen Jahren in der srilankischen Frauenbewegung tätig.

Maunaguru ist Mitbegründerin des 1990 ins Leben gerufenen Surya Women's Development Centre, das insbesondere vom Bürgerkrieg

zwischen den Befreiungstigern von Tamil Eelam und der Regierung betroffene Frauen unterstützt. Dazu gehören Frauen, die infolge des Konflikts zu Haushaltsvorständinnen und Alleinerzieherinnen oder Opfer von Gewalt wurden. Auch nach der Tsunami-Katastrophe haben sich Surya und andere Frauenorganisationen in Sri Lanka an den Hilfsaktionen beteiligt. Die großzügige

Hilfe, die aus aller Welt eingetroffen ist, wissen sie dabei sehr zu schätzen, was sie aber nicht

daran hindert, auch Kritik an den

internationalen ngos zu üben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung