Hilfe, die abhängig macht

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Das Gegenteil von gut ist gut gemeint: Helfen zu wollen alleine reicht nicht aus, schon gar nicht, wenn es sich dabei um humanitäre Hilfe nach Katastrophen handelt.

Auf den Tsunami war eine regelrechte Flutwelle der Hilfsbereitschaft gefolgt: Noch nie zuvor war auf eine Katastrophe mit sovielen Geldmitteln und Hilfsaktionen reagiert worden. Doch die Hilfe hat zum Teil bizarre Formen angenommen. Auf Meldungen über Trinkwassermangel waren Wasserflaschen in Großraumjets nach Sri Lanka eingeflogen worden - obwohl im Landesinneren Trinkwasser in rauen Mengen vorhanden ist; Europa spendete Second-Hand-Kleidung, deren Transport und Sammlung zehnmal mehr kostet, als die Kleider im Land selbst herzustellen; aus Deutschland wurden Teddybären geschickt, in deren Fell sich Krankheitserreger einnisten können und somit für Kinder in den Tropen, die damit draußen spielen, völlig ungeeignet sind.

Hilfe braucht Qualität

"Hilfe muss auch qualitativ gut und nicht nur gut gemeint sein. Dazwischen gibt es manchmal einen erstaunlichen Unterschied", so Michael Landau, Direktor der Caritas Wien, bei dem InvestGespräch "Hilfe Verantworten - Unverantwortlich Helfen" der Investkredit Bank ag.

Da allerdings Spenden und Helfen gänzlich positiv besetzt sind, werden gut gemeinte, aber störende Einzelaktionen, fragwürdige Hilfsorganisationen, die in Katastrophengebieten wie Schwammerl aus dem Boten schießen, und die nötige Professionalität und Verantwortung von humanitärer Hilfe kaum je diskutiert. Auch die Problematik, die der Logik des Helfens und somit der Konstellation des Gebens und Nehmens inhärent ist, wird aus dem öffentlichen Bewusstsein zumeist ausgeklammert: "Wer gibt, hat Anspruch und fühlt sich mächtig. Wer nimmt, fühlt sich verpflichtet und oft sogar ohnmächtig", beschreibt der österreichische Filmemacher Helmut Voitl, der zusammen mit Elisabeth Guggenberger unmittelbarer Zeuge des Tsunami wurde und in Sri Lanka ein Hilfsprojekt initiierte, die spezifischen psychologischen Grundstrukturen, die als Störfaktoren das wirksame Helfen beträchtlich erschweren können. Dass humanitäre Hilfe außerdem die realen Machtverhältnisse und Abhängigkeiten widerspiegelt und somit Dominanz symbolisiert, wird daran deutlich, wie absurd der Gedanke anmutet, Bangladesh oder ein anderes "Entwicklungsland" würde nach der Verwüstung durch einen Wirbelsturm eine Hilfsorganisation nach Florida schicken. Die westlichen industrialisierten Staaten können sich selbst helfen.

Würde der Opfer wahren

Verschiedene nationale und internationale Vereinbarungen definieren Prinzipien und Richtlinien für die Arbeit von Hilfsorganisationen, um gewisse Standards in der humanitären Hilfe zu gewährleisten. Ein Beispiel ist der "Code of Conduct in Disaster Relief", ein freiwilliger Verhaltenskodex für Katastrophenhilfe, der 1994 von den weltweit acht größten Hilfsorganisationen, darunter auch das Rote Kreuz und der Rote Halbmond, ausgearbeitet worden ist. Zentrale Punkte sind unter anderem die Bedingungslosigkeit humanitärer Hilfe, die keinen Menschen auf Grund irgendwelcher äußerer Umstände diskriminieren darf, ihre Neutralität und Unabhängigkeit, der Respekt vor Kultur und Brauchtum, die Transparenz gegenüber den Spendern als auch den Empfängern der Hilfe und nicht zuletzt die Wahrung der Würde der Betroffenen. Letztere wird zum Beispiel leicht verletzt, wenn tonnenweise Dinge, die man selbst abgelegt hat und nicht mehr benötigt, in vom Tsunami betroffene Gebiete verschifft werden, und sich der Spender dafür einen Orden der Hilfsbereitschaft umhängt - ganz abgesehen davon, dass es oft billiger wäre, die benötigten Güter im Land selbst zu produzieren und damit gleichzeitig einen positiven wirtschaftlichen Impuls für die Region zu setzten. Manche Sri Lanker haben laut einem Bericht die gespendete gebrauchte Kleidung aus Europa aus Stolz verbrannt.

Unverantwortlich wird humanitäre Hilfe vor allem dann, wenn sie Strukturen der Abhängigkeit begründet oder festigt, wenn zum Beispiel Nahrungsmittelhilfe dem Abbau eigener Überschüsse dient und gleichzeitig die lokalen Märkte zerstört. Als wichtiger Grundsatz von Katastrophenhilfe gilt ebenfalls sowohl lokale Organisationen und Einrichtungen als auch die Empfänger von Hilfsleitungen selbst aktiv einzubinden. "Food for Work"-Programme, bei denen Betroffene für ihre Mitarbeit beim Wiederaufbau Nahrungsmittel erhalten, funktionieren allerdings nur, wenn die sozialen Strukturen nicht zu sehr zerstört worden sind, so Catherine Götze, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Auch in Bürgerkriegsgebieten scheitern diese Projekte erfahrungsgemäß.

Humanitäre Hilfe, so Landau, dürfe auch nicht als Ersatz für die Schaffung von Strukturen der Gerechtigkeit missbraucht werden. Das Zweite Vatikanische Konzil sei hier sehr klar: "Man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon als Gerechtigkeit geschuldet ist." Auch Götze gibt zu bedenken, dass humanitäre Hilfe nach Katastrophen oder in Krisenregionen bloß eine punktuelle Maßnahme sei, die im Allgemeinen nichts an den Strukturen ändere und die Menschen genauso arm hinterlasse, wie sie sie vorgefunden hat. Notwendig wären strukturelle Maßnahmen, die dann allerdings die politische Frage nach der Gerechtigkeit unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems aufwirft.

Ebenfalls für strukturelle Maßnahmen - wenn auch anderer Natur - tritt Wilfried Stadler, Generaldirektor der Investkredit Bank ag, ein. Man könne zum Beispiel an China beobachten, dass der Aufbau unternehmerischer Strukturen wirksamer für die Schaffung von Wohlstand - und hier vor allem von eigenverantwortetem Wohlstand - für viele sei, als die Entwicklungshilfe. Den Slogan "Handel, nicht Hilfe" relativiert Stadler allerdings: Es sei zwar "ein wirksames Rezept, um die marktwirtschaftlichen Energien in Ländern freizusetzten, die diese bis dahin nicht für sich nutzen konnten", ein Marktfundamentalismus im Sinne eines einzigen Marktwirtschaftsstils für alle könne aber naturgemäß in Weltregionen, die in völlig unterschiedlichen Entwicklungsstadien stünden, nicht zu angemessenen Lösungen führen.

Druck der Spender

Eine wichtige Rolle im Prozess des Helfens kommt auch den Medien zu. Vor allem, wenn es um die Spendenaufrufe für die Hilfsorganisationen geht, sind die Medien gleichermaßen wie diese daran interessiert, dass am Positivimage des Helfens nicht gekratzt wird. Allerdings schüren die Medien noch den Druck auf die Hilfsorganisationen, der von der Erwartung der Spender ausgeht. Dies führe zu einem "Abfahrtslauf" der Helfer nach dem Motto "Wer erreicht mit wieviel neu gebauten Häusern als erster das Ziel", so Voitl. Manche Organisationen stünden dermaßen unter Druck, dass sie "Projektklau mittels Bildern" betreiben, berichtet die ard-Journalistin Claudia Sautter, die Ende März in Sri Lanka war: "Ein paar Leute haben ein Wiederaufbau-Projekt der Organisation Help mit Digitalkamera fotografiert und die Bilder als Beweis für ihre eigene Arbeit ins Internet gestellt."

Angemessen über die Arbeit der Hilfsorganisationen und die Motive der Helfer, die zum Teil auf eigene Faust angereist waren, sowie über die komplexen und asymetrischen Konstellationen zwischen Helfern und Opfer zu berichten, ohne dabei den Impuls der Menschen, helfen zu wollen, zu zerstören, beschreibt Sautter als einen "Gang durch ein Minenfeld".

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