Tsunami: Spendenflut für Frieden genützt

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Frau S. Vaddanaruby gehört zu jener Mehrheit der Tsunami-Opfer an der Nord- und Ostküste Sri Lankas, die auch vier Jahre nach der Jahrhundertkatastrophe kein solides Dach über dem Kopf haben. Die Frau teilt sich mit ihren drei Kindern und zwei weiteren Familien einen heruntergekommenen Betonbau in einem Dorf wenig außerhalb der Stadt Batticaloa. Unter dem Wellblechdach staut sich die Hitze. Die 25-Jährige wohnte an der Küste der Stadt Muthur, rund hundert Kilometer nördlich, als die Welle kam. Das Gebiet wurde damals von der Rebellenorganisation Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) kontrolliert. Einen Wiederaufbau ließ die singhalesisch dominierte Regierung dort kaum zu. Vaddanaruby und ihr Mann fanden Unterschlupf bei Verwandten. Als die Armee Mitte 2006 begann, das Gebiet militärisch zurückzuerobern, hagelte es wochenlang Bomben und Artilleriegeschosse. Auf der Flucht Richtung Batticaloa wurde Vaddanarubys Mann tödlich getroffen. Dinojan, der jüngste Sohn, war damals noch ein Säugling. Ob die Familie eines Tages eine würdige Bleibe bekommt, ist völlig offen.

Das ist kein untypisches Schicksal an Sri Lankas Ostküste: Viele waren hier Kriegsvertriebene, bevor sie Opfer des Tsunami wurden und dann erneut vor dem Krieg flüchten mussten. Ein Fünftel der 500.000 Einwohner des Bezirks Batticaloa wurde in den vergangenen zwei Jahren vertrieben oder evakuiert. "Intern Vertriebene" lautet der Fachbegriff für diese Menschen, die größtenteils vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge und von internationalen Hilfswerken mit dem Nötigsten versorgt werden.

Minderheiten bei Wiederaufbau benachteiligt

Während der Wiederaufbau entlang der Südküste weitgehend abgeschlossen ist, schätzen Experten, dass in den drei Distrikten der Ostküste weniger als die Hälfte der Obdachlosen ihr neues Haus beziehen konnte. Geschätzte 38.000 Menschenleben hatte die Katastrophe allein in Sri Lanka gefordert, über 100.000 Häuser weggespült oder irreparabel beschädigt - 60 Prozent davon im Norden und Osten, wo die tamilischen und muslimischen Minderheiten leben. Trotzdem wurde der von der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung bewohnte Süden beim Wiederaufbau bevorzugt. In Hambantota, dem Wahlkreis von Präsident Mahinda Rajapakse, rühmt man sich, das Hausbauprogramm zu 173 Prozent erfüllt zu haben. An der Ostküste lag die Quote nach drei Jahren bei bescheidenen 39 Prozent. Im Jahr eins nach dem Tsunami, während im dicht besiedelten Süden bereits heftig gebaut wurde, herrschte im Norden und Osten praktisch Stillstand. Die Bürokratie kam mit der Zuteilung von neuen Bauflächen nicht zurecht und monatelang wurde über die Breite der Pufferzone zum Strand gestritten: Ursprünglich sollte ein Kilometer von der Küstenlinie überhaupt nicht mehr gebaut werden dürfen.

Das war bei den Fischern extrem unbeliebt. Dann kam der Wahlkampf und die Spitzenkandidaten überboten sich beim Reduzieren des Sicherheitsabstands: 300 Meter, 100 Meter … Heute stehen manche Häuser wieder 30 Meter vom Strand entfernt.

Die Spendenwelle, die Milliarden Dollar ins Land spülte, und der sprunghafte Anstieg der Nachfrage nach Baumaterial trieben die Inflation an. Die internationale Spendenbereitschaft war enorm: pro Opfer 5000 US-Dollar. Bei anderen Naturkatastrophen sind es drei bis vier. Kein Wunder, dass sich der Preis von Zement fast verdoppelt hat und eine Wagenladung Bausand fast dreimal so viel kostet wie vor dem Tsunami. Dadurch wurden die Kalkulationen für den Wiederaufbau über den Haufen geworfen. Wo eigentlich 2000 Häuser geplant waren, konnten nur noch 600 finanziert werden, sagt eine Mitarbeiterin von US-AID in Trincomalee. Manche Bauherren sparten auch am Material. So kann man heute den einen oder anderen Neubau sehen, der die ersten Risse in der Wand aufweist.

Katastrophe als Chance für den Frieden

Dass die Katastrophe auch als Chance verstanden werden kann, bewies Sarvodaya, die größte NGO des Landes. Direktor Vinya Ariyaratne fand es legitim, einen Teil des Spendensegens in die Friedensarbeit zu kanalisieren. In Trincomalee, einer Stadt, wo Tamilen, Singhalesen und Muslime zu gleichen Teilen heimisch sind, konnte er dank Tsunami ein lange gehegtes Projekt verwirklichen: ein Friedenszentrum, das den Rahmen für die Versöhnung der Volksgruppen bieten soll. Das Land Oberösterreich finanzierte den Bau, das Burgenland die Ausstattung von Konferenzraum, Bibliothek und Sprachlabors.

Der stattliche Bau wurde im vergangenen September in Betrieb genommen. Bibliothek und Sprachlabors werden vor allem von Jugendlichen genutzt. Hier kann man Englisch, aber auch die Sprache der jeweils anderen Volksgruppe lernen - der erste Schritt zur Verständigung.

Junge Frauen und Männer aller drei ethnischen Gruppen können sich daneben in mehreren Berufen ausbilden lassen. Der Unterricht ist gratis und die Studierenden bekommen ihre Fahrtkosten zur Schule ersetzt. Besonders beliebt sind die Kosmetik- und Schneiderkurse bei den Frauen, die Mopedmechaniker-Ausbildung und Tischlerwerkstätten bei den Burschen. Aber die Frauen dringen auch in die traditionellen Männerberufe vor. In den Computer-Software und -Reparaturkursen sind fast die Hälfte Frauen. Der 19-jährige Kamala Ruban ist Waisenkind und Kriegsvertriebener. Deswegen wurde er bei der Bewerbung um einen Platz im Mechanikerkurs bevorzugt. Um einen Job muss er sich keine Sorgen machen. Die Nachfrage nach Fachkräften aller Art in der Region ist enorm.

Die sichtbaren Verheerungen, die der Tsunami hinterlassen hat, werden bald beseitigt sein, ist Vinya Ariaratne überzeugt. Viel schwieriger sei die Aufgabe, das soziale Gewebe wieder aufzubauen, das der Krieg zerrissen hat: "Wir setzen auf die nächste Generation. Das Friedenszentrum hilft uns dabei." (Ralf Leonhard)

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