"Zu schwach für den Kampf ums Essen"

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Sri Lanka: Sogar das größte Eisenbahnunglück der Geschichte (1.700 Tote) war nur eine Schreckensmeldung unter vielen.

Das Meer ist lebenspendender Freund und es ist todbringender Feind. Soweit er zurückdenken kann, hat A. Thevarasa vom Fischfang gelebt. Nur ausgerüstet mit Leine und Haken fuhr er aufs Meer, doch was er heim brachte, reichte, um seine Frau und drei Kinder durchzubringen. Die Händler aus der Stadt kamen regelmäßig zu ihm ins Dorf Thiruchenttur und kauften seinen Fang. Manchmal trug er seine Beute auch auf den Markt in Batticaloa. Von einem Tsunami hatte Thevarasa noch nie gehört. Als sich das Wasser am Morgen des 26. Dezember plötzlich aus dem Nichts zu einer ungeheuren Wand aufbaute und über den Strand hereinbrach, war er völlig überrumpelt. Er packte seine Familie und alle rannten um ihr Leben: "Erst als wir am St. Michael's College in Batticaloa ankamen, machten wir halt." Der schmale Küstenstreifen auf der Landzunge, die die Stadt Batticaloa im Osten Sri Lankas vor dem Meer schützt, bietet ein apokalyptisches Bild. Von den Häusern am Strand legen nur die Grundmauern Zeugnis ab, dass sie fest gemauert waren.

Die Einwohner von Sri Lanka und deren europäische Eroberer aus Portugal, den Niederlanden und Großbritannien betrachteten das tropische Eiland als eine Art asiatischen Garten Eden. Überflutungen und Trockenheit war man gewohnt, doch vor größeren Naturkatastrophen wie Erd- oder Seebeben fühlte man sich gefeit. Sri Lanka liegt weit abseits der tektonischen Bruchlinien, die manche Länder Asiens in beständiger Bebengefahr leben lassen. Deswegen war auch bisher kein Politiker auf die Idee gekommen, der Tsunami-Liga beizutreten, deren wichtigster Vorteil ein Frühwarnsystem ist. Erst zwei Tage nach dem Seebeben wurde der Mitgliedschaftsvertrag von Präsidentin Chandrika Kumaratunga unterzeichnet.

Größtes Eisenbahnunglück

Eine Woche nach der Mega-Katastrophe, die in Sri Lanka vermutlich über 40.000 Menschen getötet hat, sind die langfristigen Auswirkungen noch nicht abzusehen. Angesichts des ungeheuren Ausmaßes der Katastrophe blieben Tragödien wie der Untergang der "Queen of the Ocean" fast unbemerkt: Der Zug, dessen Name jetzt einen seltsamen Beigeschmack bekommt, war von der Hauptstadt Colombo in die Stadt Galle an der Südküste unterwegs. Auch für srilankische Verhältnisse bedeuteten die 1.700 Fahrgästen starke Überladung. Sein Verschwinden im Ozean hätte unter normalen Umständen als größtes Eisenbahnunglück der Geschichte weltweite Schlagzeilen gemacht. So blieb es eine unter vielen Schreckensmeldungen.

Ineffiziente Verwaltung

Während die größte und komplexeste Rettungsaktion in der Geschichte des Landes erst schleppend anläuft, wird immer wieder die Frage gestellt, ob die Regierung der Herausforderung gewachsen ist. NGOs und Zeitungskolumnisten bezweifeln dies. Schon bei kleineren Katastrophen hatten sich die Behörden in der Vergangenheit ineffizient gezeigt. In den ersten Tagen wurden Rettungsaktionen und Erstversorgung fast ausschließlich durch den Einsatz der Religionsgemeinschaften, der nationalen und internationalen NGOs und die Solidarität Tausender freiwilliger Helfer und Spender ermöglicht. Jetzt gilt es, die unentwegt aus dem Ausland eintreffenden Lebensmittel, Medikamente und Helfer nicht nur im richtigen Ausmaß an den richtigen Ort zu bringen. Sie müssen auch so eingeteilt werden, dass eine Million Obdachlose für Monate versorgt werden können.

"Schickt uns keine Lebensmittel mehr!" fleht M. Jaleel aus Kalmunai an der Ostküste: "Wir haben genug zu essen und können keine zusätzlichen Bestände trocken lagern." Jeder Überschuss spiele den Profiteuren und Kriminellen in die Hände. Vor allem in jenen Lagern, die nicht von einer Institution oder durch ein selbst gegründetes Koordinationskomitee organisiert werden, herrscht das Chaos. Ein Arzt in Ampara behält Patienten, die er normal längst entlassen hätte, im Spital: "Sie sind zu schwach, um sich im Lager beim täglichen Kampf um die Essensrationen durchzusetzen." Ampara, südlich von Batticaloa, ist mit über 13.000 Toten der am schlimmsten betroffene Bezirk.

Wichtige NGOs

Das alte Fort von Batticaloa, wo im 18. Jahrhundert der niederländische Verwalter seinen Sitz hatte, wirkt noch heute martialisch. Hier ist das Büro des "Government Agent" untergebracht. Mr. Velmurugu Shanmugam, der selbst sein Haus verloren hat, ist für die Koordination der Hilfsaktionen für die gesamte Ostprovinz zuständig. Alles sei unter Kontrolle, beruhigt er. Allerdings würde ohne internationale und ausländische NGOs nichts laufen. Die Medikamente kommen über die Initiative von Terre des Hommes Schweiz in die Stadt, die Nahrung wird vom Welternährungsprogramm WFP bereitgestellt, das Vorräte, die für ein Essen-für-Arbeit-Programm in den vom Bürgerkrieg betroffenen Gemeinden bestimmt war, kurzerhand umwidmen konnte. Bashir Tani, der das WFP-Büro in Batticaloa leitet, bescheinigt den Regionalbehörden guten Willen: "Korruption im großen Stil kommt hier nicht vor."

Der um eine Woche verschobene Schulbeginn am 10. Jänner sei gesichert, meint Shanmugam. Bashir Tani hält das für unrealistisch. Es sei nicht einmal klar, wo und mit welchem Material die Unterkünfte gebaut werden können. Völlig ungeklärt ist, wo die Obdachlosen - allein im Bezirk Batticaloa 50.000 Familien - später angesiedelt werden sollen. Denn Herr Thevarasa und viele seiner Leidensgenossen wollen nicht mehr am Strand leben.

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