"Wir sind gegen einen Krieg für den Frieden"

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Chandrika Kumaratunga wurde Ende Dezember wieder zur Präsidentin Sri Lankas gewählt. Noch vor der Wahl verlor sie bei einem Anschlag ein Auge und erlitt Gesichtsverletzungen. Das Attentat schrieb man den "Befreiungstigern" von Tamil Eelam (LTTE) zu, die seit 16 Jahren im Nordosten der Insel für einen eigenen Staat der Tamilen kämpfen. 60.000 Menschenleben hat der Kampf bereits gefordert. Ein Gespräch mit einer Tamilin über die Hintergründe.

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Chandrika Kumaratunga wurde Ende Dezember wieder zur Präsidentin Sri Lankas gewählt. Noch vor der Wahl verlor sie bei einem Anschlag ein Auge und erlitt Gesichtsverletzungen. Das Attentat schrieb man den "Befreiungstigern" von Tamil Eelam (LTTE) zu, die seit 16 Jahren im Nordosten der Insel für einen eigenen Staat der Tamilen kämpfen. 60.000 Menschenleben hat der Kampf bereits gefordert. Ein Gespräch mit einer Tamilin über die Hintergründe.

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dieFurche: Bei den Wahlen 1994 stand ein Großteil der Tamilen hinter Kumaratunga und vertraute in deren Bereitschaft zur Beendigung des Krieges mit der LTTE. Inzwischen hat sich die Mehrheit der Tamilen enttäuscht von der alten und neuen Präsidentin abgewandt. LTTE-Chef Vellupillai Prabhakaran nannte deren erste Amtszeit gar einen Fluch für die Tamilen, während die Regierung der LTTE die Schuld für den Zusammenbruch der Friedensverhandlungen gibt. Was ist Ihrer Ansicht nach schief gegangen?

Shanthi Satchithananda: Anläßlich der Wahlen 1994 war die Stimmung euphorisch. Die neue Präsidentin Kumaratunga äußerte alle möglichen Ideen, wie das Land zum Frieden finden könnte. Wir (Personen aus der Zivilgesellschaft, Anm.) bildeten die Interreligiöse Friedensgruppe, aus der dann Anfang 1995 der Nationale Friedensrat und später eine breite Nationale Allianz für den Frieden hervorging. Wir wollten uns um Vermittlung bemühen, Kontakte mit der LTTE wie auch mit den führenden Persönlichkeiten des buddhistischen Klerus herstellen, mit Parlamentariern und Lokalpolitikern Gespräche führen. Denn unsere Devise lautet: Der Konflikt kann nur durch Verhandlungen gelöst werden.

Doch bereits im April 1995 wurde der Krieg unter dem Slogan "Krieg für den Frieden" fortgeführt. Wir aber waren und sind gegen einen Krieg für den Frieden.

dieFurche: Die Regierung wirft der LTTE den Bruch des Waffenstillstands vor, womit der Dialog zusammenbrechen mußte.

Satchithananda: Gleich zu Beginn der Verhandlungen konnten wir Zeichen der Unehrlichkeit auf Seiten von Kumaratungas Volksallianz (PA) erkennen. Sie war schnell beim Versprechen, aber eingehalten sollten diese Versprechen ganz offenkundig nie werden. Die Emissäre, die die Regierung ausschickte, waren nicht ordentlich vorbereitet und hatten kein Verhandlungspouvoir. Die Regierung handelte unaufrichtig, ohne klare Struktur und Konzept.

Warum haben sie anstatt irgendwelcher kompetenzloser Vertreter nicht lieber gleich einen Koch geschickt, der wäre wenigstens von Nutzen gewesen? So kommentierte man damals zynisch in der LTTE-Führung. Kurz: Solange die Regierung mit solch einer Haltung an die LTTE herantritt, müssen sogenannte Friedensgespräche fehlschlagen. Schritt für Schritt hat die Regierung Kumaratunga dann das Ganze verpfuscht. Auch das Dezentralisierungspaket war in Wahrheit nur als ein Stück Papier gedacht, das den Krieg rechtfertigen sollte. Es war so konzipiert, daß es scheitern mußte. Es war ein pures Täuschungsmanöver. Kumaratunga beherrschte die Kunst der Täuschung. Warum geht die Regierung nicht die Probleme an, die auf der Verfassung beruhen? Deren Artikel eins sagt, daß dies ein zentralistischer Staat ist. Deren Artikel vier räumt dem Buddhismus eine Sonderstellung im Land ein. Das müßte die Regierung ändern, sie müßte Sri Lanka zu einem Bundesstaat erklären, einem ausdrücklich säkularen noch dazu, und dann auf dieser Basis seriös mit den Tigern verhandeln.Wir im Friedensrat sind für eine Konföderation. Und ich bin mir sicher, die Tiger würden einer solchen ebenfalls zustimmen.

dieFurche: Sie halten es also für möglich, daß Prabhakaran von seiner Maximalforderung eines unabhängigen Staates für die Tamilen abrücken könnte?

Satchithananda: Die Tamilen sprachen von Anfang an von Rechten, von Gleichberechtigung (aller ethnischen Gruppen), vom Recht auf Selbstbestimmung. Aber die buddhistischen Singhalesen sprechen von Konzessionen. Natürlich sagt Prabhakaran dann: Wir müssen weiter kämpfen, denn sie wollen uns nichts geben. So bleibt das tiefe Mißtrauen bestehen und das Land befindet sich stets in Kriegsbereitschaft oder im Krieg.

Natürlich würde es viel helfen, hätte die LTTE einen politischen Flügel nach dem Modell IRA-Sinn Fein. Doch die LTTE war als Guerillaorganisation so erfolgreich, daß Prabhakaran niemals politische Entscheidungen von Personen außerhalb der LTTE-Führung akzeptieren wird. Entweder man ist drinnen in der LTTE-Führung oder man ist draußen und hat nichts mitzuentscheiden. Das hat den Tigern solche Schlagkraft gegeben. Aber es führt eben auch zu politischer Dürre.

dieFurche: In manchen Kreisen wird über die Notwendigkeit einer sogenannten dritten Front spekuliert. Demnach müßte sich eine starke Tamilenfront herausbilden, die keine Waffen führt und daher von der Regierung eher als Verhandlungspartner akzeptiert werden könnte. Sehen Sie die Chance zur Schaffung einer solchen Front?

Satchithananda: Die Tamilen, die früher mit den Waffen kämpften und dann ihre Waffen ablegten, werden jetzt von der Regierung einfach nicht ernst genommen. Dabei sollte die Regierung doch gerade sie hervorheben, mit ihnen zusammenarbeiten und belegen, daß sie sie als seriöse Partner betrachtet. Aber die Regierung setzt immer noch auf einen militärischen Sieg oder eine so starke Schwächung der LTTE, daß sie ihr die Friedensbedingungen diktieren kann. Mit diesem Krieg aber werden sie nie Erfolg haben.

dieFurche: Was hat denn die LTTE bisher für die Tamilen erreicht?

Satchithananda: Die Regierenden in Colombo hatten für uns nur Hohn und Verachtung übrig. Sie dachten nie, daß die Tamilen derart für ihre Rechte zu kämpfen bereit wären. Als dann die indische Armee intervenierte (1987-90, Anm.), dachten sie erneut, daß Prabhakaran binnen zwei Wochen niedergerungen wäre. Aber er ist noch immer da. Bei einer so starken Führung kann eine Guerillagruppe nicht besiegt werden.

dieFurche: Wie können Sie die extreme Gewalt und die Terrorakte der LTTE hinnehmen oder gar rechtfertigen?

Satchithananda: Hier findet eine Neuinszenierung des großen indischen Epos Mahabharata statt. Dort kämpfen die Cousins der Kauravas und der Pandavas um die politische Konfiguration im Land. Der Gott Krishna kommt herbei, um auf der Seite der Minderheit - also der fünf Pandavas - gegen die 20mal so zahlreichen Kauravas zu kämpfen. Er bedient sich dabei allerdings sehr häufig betrügerischer Mittel. Dann fragen die Leute Krishna, warum er denn so viele ungerechte Dinge getan habe. Er antwortet: Das Dharma - was man hier mit "Recht" übersetzen könnte - mußte siegen. Da ich wußte, daß der Feind so übermächtig war, konnte ich nicht umhin, zu diesen Taktiken zu greifen. In Sri Lanka kämpfen natürlich keine echten Cousins, sondern Angehörige desselben Landes gegeneinander. Wir sind alle - Singhalesen, Tamilen und die kleinen Minderheiten der Muslime und Burgher (Nachfahren der ehemaligen Kolonialherren) - Sri Lanker, aber es geht um die politische Konfiguration, die Rechte der Minderheiten und ganz besonders der Tamilen. Natürlich wenden wir uns jedes Mal, wenn wieder ein Massaker verübt wurde, sofort an die Tiger mit der Bitte, doch von solchen Greuel abzulassen. Und ja, es war horrend, wie die LTTE rivalisierende Tamilen-Gruppen vernichtet hat. Aber wir wußten auch, daß Gruppen wie Plote und Telo voller krimineller Elemente waren. Es war ein Dilemma für uns, wir wußten, daß die anderen keinesfalls sauber waren, aber wir konnten auch nicht einfach die Gewalt der LTTE gutheißen. 1984 bis 1989 waren besonders schlimme Jahre. Mittlerweile hat die LTTE gelernt, ein wenig Dissens zu akzeptieren.

Aber es soll nur keiner mit dem Einwand kommen, wenn die LTTE tatsächlich einen unabhängigen Staat für die Tamilen erkämpfen könnte, was für ein Terrorregime das dann für die Zivilbevölkerung bedeuten würde. Eines solchen Risikos sind sich viele bewußt. Doch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen möge man bitte uns Tamilen überlassen. Wir haben jedenfalls nicht unsere Seele an Prabhakaran verkauft. Die meisten Tamilen haben nur erkannt, dass die LTTE die einzige ernstzunehmende Kraft ist, die wirklich für die Rechte der Tamilen kämpft. Nochmals: Hier geht es nicht um Geben. Hier geht es um legitime Rechte der Minderheit und die Schaffung demokratischer Strukturen. Aber es scheint unmöglich, mit den Singhalesen einen echten Dialog zu führen. Vielleicht muß der Krieg 30 Jahre dauern.

dieFurche: Halten Sie es für möglich, daß die Regierung auch noch gar keinen Frieden will, sondern auf das Ausscheiden Prabhakarans wartet und hofft, daß ohne seine Führung die LTTE zerbricht?

Satchithananda: Es gibt andere fähige Personen neben Prabhakaran. Sie sollten in der Lage sein, die Führung zu übernehmen. Das Militär hat schon öfter vergeblich auf einen Herzanfall oder anderen Tod Prabhakarans gesetzt.

Das Gespräch führte Brigitte Voykowitsch Zur Person Engagiert für die Vertriebenen Sri Lankas Die Tamilin Shanthi Satchithananda ist seit Jahren in der srilankischen NGO-Szene und diversen Tamilenorganisationen aktiv. So ist sie Mitglied des Nationalen Friedensrates oder der Aktionsgruppe der Tamilen und wird auch von Priester Oswald Firth, dem Direktor des prominenten, kirchennahen und auch von der österreichischen Dreikönigsaktion unterstützten Zentrums für Gesellschaft und Religion für ihre Friedensarbeit sehr geschätzt. Im humanitären Bereich arbeitet sie bei Christian Aid für die vielen infolge des Bürgerkrieges im Nordosten Vertriebenen. Sie war auch an der Gründung einer Organisation der Mütter von Opfern des Krieges beteiligt.

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