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Adieu dem Klingelbeutel

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Unter Madonnen, Engeln und Heiligen aller Art, Kerzenständern, Kruzifixen, Betschemeln und Weihrauchfässern in einer Ecke des Doro-theums ein seltsamer Gegenstand, über dessen Herkunft und Gebrauch viele Betrachter erst nachzudenken hatten. Ein Beutel aus purpurnem Samt, kunstvoll mit Ornamenten und einem Christus-Monogramm golden bestickt. Der obere Rand des Beutels in eine sorgfältig geputzte, ziselierte Messingdose gefaßt, die oben einen Einwurfschlitz trägt. Am unteren, spitz zulaufenden Ende des Beutels ein Glöckchen. Der Beutel mit der Dose in einer Achse gelagert, die von einem Bügel gehalten wird, der an einer fast zwei Meter langen Holzstange befestigt ist. Ein sogenannter Klingelbeutel.

Seine leise klingelnde Melodie weckt christliche Nostalgie. Der Kindheits-Zauber des Opfergroschens, als die Mutter dir das Geldstück in die Hand drückte und du gespannt wartest bis der Mesner oder Zechpropst in deine Bankreihe kam und du die Münze in den blinkenden Schlitz werfen durftest Mit einem leisen „Vergelts Gott!” wanderte der bimmelnde Beutel weiter.

Selige Erinnerung! Der Klingelbeutel ist ein Opfer der Inflation. Längst verstaubt er in einer Ecke der Sakristei oder im Hintergrund irgendeines Devotionalien-Kastens, wenn er nicht, ehe ihn die Motten zernagen, als besonders prächtiges Stück in den Altwarenhandel gelangt ist. Einzelne, kunsthistorisch bedeutsame Stücke ziehen in die sakralen oder profanen Schatzkammern oder Museen ein. Vor der Vitrine werden die Kustoden kommenden Generationen erklären, wozu ein Klingelbeutel diente, damals, als eine Münze noch ein Opfer war'.

Vorbei ist sein zartes, heimeliges Klingeln. Die Opfersammlung ist versachlicht. Ein Holzkasten an einer Stange oder ein Bastkörberl werden umhergereicht. Weder ein Glöckchen noch die Münzen klingeln.

Der Klingelbeutel ist unpraktisch für heutige Währungsverhältnisse. Es ist nicht zweckmäßig, Banknoten so heftig zu zerknüllen, daß sie in den Messingschlitz passen. Und es ist auch nicht gerade eine seelsorgliche Aufgabe für kirchliche Helfer, Banknoten zu glätten. Es spricht alles für die offene Tasse.

Doch einen melancholischen Nachruf ist er wert, der alte Klingelbeutel. Was waren es doch für arme Zeiten, als erboste Pfarrherrn noch

eine Reihe von Hosenknöpfen von der Kanzel springen ließen, weil knausrige Kirchenbesucher diese statt einer Münze in den Klingelbeutel geworfen hatten! Ein „Vergelts Gott!” für einen Hosenknopf, das war die gutgemeinte doppelbödige Antwort, die ein des Dankes entwöhntes Zeitalter gar nicht mehr verstehen wird. Wie reich sind wir heute an der gläsernen Tasse!

Wer wird den Klingelbeutel im Dorotheum ersteigern? Ein Neureicher, der seine Hausbar mit Engeln verziert? Ein Kunstsammler, der die Goldstickerei schätzt? Wird er in Österreich bleiben, der schöne Klingelbeutel?

Leb wohl, Adieu, du samtenes Opfergefäß, du heilige Kindheitsmelodie! Weihrauchduft liegt noch in deinen textilen Falten, Erinnerung an Birett und Talar, an Manipel und all dieses vorkonziliare Kirchentextil. Erinnerung an das lateinische Gemurmel und die Rückansicht des Priesters. Nein, dies sind keine Tränen eines Traditionalisten. Unsere Zeit hat Nötigeres in der Kirche. Nur der Klingelbeutel, was kann der dafür? Dem Finanz- und Inflationsminister sollte man ihn schenken. Oder doch lieber aufheben, falls die neue Währung ECU eine Münze hervorbringt, die wieder eines Klingelbeutels wert ist.

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