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Aufsätze zur deutsch-antiken Begegnung

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Götterstille und Göttertrauer. Von Walther R e h m, Salzburg. Verlag „Das Bergland-Buch“.

365 Seiten

Ein für die deutsche Literaturwissenschaft sehr bedeutsames, richtungweisendes Buch. Wie immer bei Rehm, ist die Methode dieser groß und ausholend angelegten Aufsätze von größter Sauberkeit und Eleganz. Die Themen haben Gewicht und eröffnen weite Perspektiven, haben Vorder- und Hintergrund und erlauben dem meditativen Blick die Ausbiegung in immer wieder neue Seitengassen des geistigen Geschehens. Vorbildlich die Methode des Zitierens. Eine ganze Gelehrtengeneration sollte von Rehm lernen, wie der wörtliche Beleg, das Zitat, zu verwenden ist. Der Verfasser beginnt mit den Umgestaltungen des „Römisch-französischen Barockheroismus“ in Deutschland. Damit bekommt Rehm die ganzen Vorgänge, die zwischen der tragedie classique und der „Hamburgischen Dramaturgie“ liegen, in den Griff.

Er klärt die Vorgeschichte des Winckel-mannschen Weltanschauung und zeigt, wie sich das „Barock“ ins spätere 18. Jahrhundert auflöst. Das ist mit ebensoviel Akribie wie Kunst der Facette durchgeführt. „Schiller und das Barockdrama“ führt den Ansatz des ersten Aufsatzes variierend weiter: Schiller und Calderon, Schiller und Gryphius, Schiller und das christliche Drama. „Götterstille und Göttertrauer“ rückt die Antikendeutung Winckelmanns und Fr. Stolbergs neben-und gegeneinander: das „Stille“-Ideal Winckelmanns sowie Stolbergs Todesbewußtsein auf dem Antlitz griechischer Statuen wird exemplarisch aufgezeigt. Das Symbol der „Stille“ wird in einer groß angelegten Linie von Winckelmann über Goethe, Hölderlin bis zu Rilke umrissen. Schon hier schlägt Rehm das Generalthema der weiteren Aufsätze an: wie sich denn das orphisch-eleusini-sche und chthonische Griechenbild der Deutschen aus dem apollinischen Winckelmanns entwickelt. Die folgenden Aufsätze sind Beiträge zu einer Winkelmann-Darstellung, worunter die Arbeit

über „H. H. v. Riedesel, Freund Winckelmanns, Mentor Goethes, Diplomat Friedrichs des Großen“, diesen deutschen Archäologen, „voyageur moderne“ und unmittelbaren Vorläufer W. v. Humboldts porträtiert. Hierauf folgt „Bachofens Griechische Reise“, zusammengehalten durch das Riedesel und Bachofen gemeinsame Bestreben der spekulativen Entdeckung der griechischen Landschaft. Rehm begleitet uns an Bachofens Seite durch die Stätten, Landschaften und Stimmungen griechischer Ruinenherrlichkeit und überrascht am Schlüsse mit wertvollen Parallelen zwischen Bachofen und dem Maler Rottmann: beide vereint „Mischung von Seheindrücken und geschichtlicher Reflexion“. „Viktor Hehn und Italien“ wie „Viktors Hehns Weg zu Goethe“ zeigen, daß Hehn auf dem Wege war, in seinen Büchern eine „Kulturmorphologie Europas“ zu schreiben, ein Unterfangen, das leider Fragment geblieben ist. Besonders interessant muß dem Germanisten Rehms Hinweis sein, daß schon Hehn nach einer Anregung von Gervinus den deutschen Kulturraum in Südwesten und Nordosten aufgliederte. Hehns Goethebuch beginnt mit dem Kapital „Südwest und Nordost“. Das waren Gedanken, die erst im 20. Jahrhundert durch Josef Nadler ihre volle, breite Ausgestaltung erfahren haben. Aus seiner Vorliebe für den Südwesten, für Goethe-Hegel, als deren Gegenpol der bildlose Nordosten mit Klopstock-Kant steht, macht Hehn kein Hehl. Mit einer kurzen, aber im Profil scharfen Gegenüberstellung Hehns und Hermann Grimms schließt dieser auch für die Goetheforschung wie für das Goethebild des 19. Jahrhunderts sehr aufschlußreiche und warm-geschriebene Aufsatz. Ein Buch voll köstlicher Fülle der Gedanken, aber auch voll Bilder und sinnlicher Anschauungen. Ein Buch, über dessen Klarheit und ruhiger Gedankenführung selbst ein italienischer Himmel sich zu spannen scheint.

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