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Die Demut vor dem wirklichen Leben

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Zur Abwechslung einmal eine Antwort vorweg, und zwar auf die Frage, wieso Susanna Tamaras Briefroman „Geh, wohin dein Herz dich trägt” seit Umberto Ecos „Name der Bose” der erfolgreichste italienische Boman ist: Weil es ein Buch über echte Werte und echte Gefühle ist - also etwas, woran es heute (nicht nur südlich des Brenners) mangelt. Susanna Tamaro beschreibt entgegen dem Gros der von Hollywood inspirierten Literatur keine Lebenssurrogate, sondern den Gehalt eines Lebens.

Und zwar des zu Ende gehenden Lebens einer Großmutter, die für ihre Enkelin, die sie aufgezogen hat, niederschreibt, was sie in ihrem Leben bewegt hat, warum sie so und nicht anders gehandelt hat und woraus die Probleme, die die beiden zuletzt miteinander hatten, entstanden sind. Es ist kein sensationelles Leben, das die Großmutter geführt hat, aber auch kein schmerzloses. Früh verheiratet mit einem Mann, den sie nicht liebte, bekam sie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Kind von einem anderen Mann, den sie über alles liebte, der aber seinerseits verheiratet war und woanders lebte. Erst spät erfährt die psychisch labile Tochter, daß der

Mann ihrer Mutter nicht ihr Vater ist und daß ihr echter Vater längst tot ist. Die Mutter der Enkelin, an die die Briefe gerichtet sind, kam dann wie der ihr unbekannte Vater bei einem Autounfall ums Leben.

Die drei Frauen, um die es hier geht, gewinnen kaum Plastizität vor dem Auge des Lesers, und das mag mancher als Mangel beklagen; doch umso mehr Dimensionen gewinnt das Leben als solches. Susanna Tamaro gelingt eine Art Neudefinition dessen, was Leben sein kann, wenn man es zuläßt. Vergleicht man die Lektüre dieses Romans mit einem Spaziergang durch eine fremde Stadt, so ließe sich sagen, daß es an jeder Ecke die Begegnung mit einem lange vermißten Freund bereithält, der einem die interessantesten Geschichten über die Gebäude und ihre Menschen zu erzählen weiß.

Der 1957 geborenen Autorin gelingt es, elementare Wahrheiten in aller Schlichheit an- und auszusprechen. Das Buch ist aber nur für jene faßbar, die sich mit Saint Exuperys „Kleinen Prinzen” bemühen, mit dem Herzen sehen zu lernen.

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