Miniaturen aus einer unbekannten Welt

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Raoul Schrotts "Logbuch" über seine Reise nach Afrika: "Die fünfte Welt". von stefan neuhaus

Viele Afrikaner sind so arm, dass sie mit verrotteten Booten lebensgefährliche Fahrten über das Meer unternehmen, um von den Kanarischen Inseln aus wieder nach Hause zurückgeschickt zu werden. Europäer und andere Angehörige der Industrieländer können mit dem Kontinent nur solche und andere Stereotype verbinden, so wie sie medial vermittelt werden. Afrika ist das Andere; da wohnen die ganz Armen, die Aidskranken, die wilden Tiere. Afrika ist Wüste, Hitze, dort fehlen Wasser und Nahrung. Man hat Mitleid und spendet (der moderne Ablasshandel), doch wenn Afrikaner ins eigene Land kommen, sieht man sie allzu oft als Bedrohung des eigenen Wohlstands.

Wie es dort nicht ist

Afrika symbolisiert das Verdrängte der westlichen Zivilisation. Damit die reichen Länder reicher werden können, müssen die armen Länder arm bleiben. Ansonsten blickt man auf den Kontinent mit einer westlichen Brille - im Vergleich des Eigenen mit dem Fremden wird wahrgenommen, wie es dort nicht ist (eben nicht wie zuhause), und es wird nicht wahrgenommen, wie es dort ist, etwa welche Riten und Gebräuche gelten oder wie die Menschen miteinander umgehen.

Raoul Schrott hat sich einer Expedition angeschlossen, die ins Zentrum des Fremden, in das Herz Afrikas führt, in eine Gegend an der Grenze von Tschad, Sudan und Libyen, die nur wenige Menschen bisher durchquert haben, die noch nicht vollständig vermessen und kartografiert ist. Aus europäischer Sicht eine Art Mondlandschaft, feindlich und, wenn man nicht aufpasst, tödlich. Was wird dort zu finden sein?

Und wer sollte eine solche Reise unternehmen wenn nicht der 1964 geborene Raoul Schrott? Er ist schon durch Herkunft polyglott, die Orte und Landschaften seiner Kindheit, Tunis und Tirol, stehen für die gegensätzlichen Welten und Vorstellungen. Nicht nur der Autor ist weit gereist, auch sein Werk ist dem Motiv des Reisens verpflichtet. Der 1995 erschienene Roman Finis terrae, was "Ende der Erde" bedeutet, spielt in Afrika und Europa; der Roman Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde von 2003 heißt nach einem Archipel im Südatlantik. Nicht zufällig trägt ein bekannter Gedichtband Schrotts den Titel Hotels. Auch viele andere Texte des Autors zeugen von seinen Reisen und seiner literarischen Auseinandersetzung mit dem Fremden.

Die Fünfte Welt. Ein Logbuch hat Raoul Schrott sein neues Werk genannt. In der für ihn charakteristischen präzisen und zugleich poetischen Sprache schildert er seine Teilnahme an der Expedition in den Nordosten des Tschad, die der Kölner Geologe Stefan Kröpelin leitete. Ein Foto des Teams findet sich im Band, ebenso sind zahlreiche eindrucksvolle Aufnahmen (die meisten von Hans Jakobi) und Karten angefügt.

Literarisierter Bericht

Schrotts Romane beruhen oft auf historischen Fakten, das vorliegende "Logbuch" wiederum ist ein literarisierter Tatsachenbericht. Das Buch profitiert davon doppelt: Es behauptet nicht, eine allgemeingültige Sicht auf die Welt zu verkünden, denn die kann es nicht geben; und es folgt einer klugen Dramaturgie der Annäherung. Schrott weiß, dass menschliche Wahrnehmung kein logischer und linearer Prozess ist. Entsprechend gestaltet der Autor den Aufbau des Buches: er collagiert die Erinnerung an historische Ereignisse, Reiseeindrücke und Reflexionen.

Das alles zusammen ergibt eine ebenso faszinierende wie lehrreiche Lektüre. Die wüste Gegend entpuppt sich als früheres Paradies, ein Seengebiet mit üppiger Vegetation. Zahlreiche Spuren künden von den einstigen Bewohnern. Schrott gelingen Miniaturen, die man nicht so leicht wieder vergisst.

Da ist das hässliche Hotel aus Ziegeln und Beton nach europäischem Muster, das eine stromfressende Klimaanalage braucht, obwohl die traditionellen Lehmbauten ausreichend Kühle garantieren würden; da ist die junge Studentin der Ethnologie, die nur noch auf das Ende ihres Aufenthaltes wartet, weil sie Computer, Auto, Klimaanlage und ihren Freund vermisst; da ist das ZDF-Team, das für seinen Film über die Expedition bereits ein Drehbuch und somit kein Interesse am Festhalten neuer Erfahrungen hat; da sind die Reste früher Zivilisation, die uns noch unbekannter sind als das heutige Afrika. Es ist eben, jenseits der dritten und vierten Welt, womit Entwicklungsländer und Menschen in Armut bezeichnet werden, eine bisher unbekannte fünfte Welt.

"Und was ich über diese Landschaft weiß, ist so wenig wie über mich selbst." Für diese Erkenntnis hat sich die weite Reise gelohnt. Wer an unumstößliche Wahrheiten glaubt, der sollte sich durch Raoul Schrott eines Besseren belehren lassen.

Die Fünfte Welt

Ein Logbuch. Von Raoul Schrott.

Fotos von Hans Jacobi.

Haymon-Verlag, Innsbruck 2006

128 Seiten, geb., € 17,90

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