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Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten

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Im gegenwärtigen Spielplan der kleinen Wiener Theater , erscheint „l e an ce und Lena" von Georg Büchner (Kaleidoskop in der Secession). Diese einzige Komödie Büchners ist nur wenig gespielt worden, hat aber noch heute Daseinsberechtigung. „Leonce und Lena“ ist ein Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten, ein Märchen aus dem Lande der Blumen und der Schlafwandler, des Dämmerns und des Müßiggangs. Man müßte Robert Musils „Möglichkeitssinn" haben, um alle Zwischentöne und Schwingungen aufzunehmen, die dieses von lebendiggewordenen Kartenkönigen erbaute Kartenhaus des Frühlings durchziehen. Dieses Spiel ist oft mit den Komödien Shakespeares verglichen worden. In der Tat erinnern Leonce und Lena an Hamlet und Ophelia, solange sie irre reden. Die Personen Büchners leben auf zwei verschiedenen Welten, die sich nirgends berühren: im Kartenhaus der Narren, das er ernst nimmt, und in der Welt der Gemeinplätze, die er glossiert. Doch fehlen die klar gezeichneten Gegensätze, die nüchtern-reale. Umgebung und Umrahmung von Prinz und Prinzessin, die Vorder- und Hintergründen erst die richtigen Dimensionen gegeben hätten. Büchner, der im Alter von 24 Jahren starb, war unterwegs zum Unendlichen, nicht frühvollendet: das erklärt, daß neben dem Genialen das Kindliche steht, daß die einzelne Wortwendung Aufbau und Sinn des Stückes überwuchert; schmerzhaft spürt man oft das Eigentliche, um das es ihm ging, und das nur zuweilen durch das Schlinggewächs zwischen Dichtung und Lichtung durchschimmert. Das Eigentliche ist ihm das Reich, in dem „alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verboten und Stunden und Monde nur nach der Blumenuhr, nach Blüte und Frucht" gezählt werden. Aber schön Büchners Sprache allein, die selbständig gewordenen Wortspiele und Wortfontänen, lassen diese Komödie aus ihrer zwielichtigen und undurchsichtigen Atmosphäre aufsteigen, als wäre sie ein Komet.

Die Aufführung unter der Regie Heinz R Ottingers zeigte eine eigenwillige Interpretation des Stückes. Röttinger ging es mehr darum, den tragischen Kern, der ja in jeder Komödie versteckt ist, herauszuschälen, wodurch das Heitere und Spielerische des Stückes etwas zu „sanftem Wahnsinn" verdunkelt wurde. Sicher die satirische Zeichnung des abtretenden Königs durch Karl Schellenberg, zart und tief Rosemarie Strahal als Rosetta, feenhaft leicht Felicitas Ruhm als Lena. Herbert Andl zeichnet unbeschwert-munter das

Bild Valerios. Unverständlich bleibt nur, warum aus dem Präsidenten des Staatsrates eine Präsidentin gemacht wurde. Die Aufführung, unterstützt durch ein vortreffliches Bühnenbild von Wolfgang Moser, ließ das Alter des Stückes vergessen und bedauern, daß es nicht das Stück eines jungen österreichischen Autors von heute ist. Man hätte darüber diskutieren können.

Nicht diskutieren kann man über den „Gott aus dem Weinkrug" der jungen Autoren Raffael und Pribil, die aus Anlaß des Faschings in der Tribüne debütieren, und gar über „D o n Juans Erwachen" von Michel Aucouturier im Theater der Courage, für das nicht einmal der Fasching Anlaß bietet.

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