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Grenzsituationen

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Es gibt eine Lustigkeit, die Verzweiflung verdeckt. In dem Lustspiel „Leonce und Lena“ des 23jährigen Georg Büchner, das derzeit bei den Salzburger Festspielen im Landestheater aufgefürht wird, finden sich zwei Königskinider indem sie sich meiden. Das ist fraglos ein Lustspielvorwurf. Entstand ein federleichtes Stück? Es sprudelt über von Lustigkeit, aber es sind das Salto mortali über einen inneren Abgrund.

Dem Müßiggang ergeben sich Prinz Leone wie der Landstreicher Valerio. Wer arbeitet, sagt der Prinz, sei ein subtiler Selbstmörder. Danach ist Arbeit eine Flucht vor dem Ich, ein Ausweichen vor der Frage, wer wir sind. Zweifel an der Identität hat sogar der einfältige König Peter, spricht er, weiß er nicht, ob er selbst es ist oder ein anderer. Und Valerio nimmt Masken von seinem Gesicht und fragt sich was er sei, das oder das. Ja, Leonce ruft aus: Oh, wer einmal jemand anders sein könnte! Wenn aber die Menschen unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind — Lenas „entsetzlicher Gedanke“ —, dann nützt es auch nicht, ein anderer zu sein. Es bleibt nur die Demission als Mensch zu geben. Wie aber gibt man die? Unbeantwortbare Frage. Also Verzweiflung. Worüber? Weil selbst die Natur das Leben haßt, wie es da heißt? Tatsächlich zerstört sie, was sie aufbaut. Oder, laut „Danton“, weil wir Puppen sind, vor» unbekannten Gewalten am Draht gezogen?

Verzweiflung! Büchner war, im Zwiespalt seiner Flüchtlingssitua-tion als er in Straßburg dieses Lustspiel schrieb, davon wohl nicht ganz frei. Wir erst recht hätten tausendfältige Ursache über den Menschen von heute verzweifelt zu sein, über seine Verstrickungen in ungeheuerliche Verbrechen. Aber in diesem Lustspiel ist die Verzweiflung in einer Märchenwelt angesiedelt, sie überspringt sich seltoet in>i,Nonsens verbissen witziger Gedankenspiralen und Wortkonfettis. Wir werden ihr nicht restlos ausgeliefert, wir spüren sie nur.

Die Spannung zwischen sprühender verbaler Lustigkeit und der sie verdeckenden Bitternis kommt unter der Regie von Johannes Schaaf kaum heraus. Klaus Maria Bran-dauer spielt darüber völlig hinweg, er ist ein spielerisch netter Kerl, aber nicht dieser überaus facettiert gezeichnete Prinz. Lastende Langsamkeit des Spiels läßt Spannung erst recht nicht aufkommen. Das Geistige des Stücks wird verfehlt. Dagegen hat Schaaf merkbar Freude am handfest Theatralischen, in den Hofszenen werden die1 Hofschranzen in ihrer Knechtseligkeit als Panoptikumsfiguren scharf karikiert und optisch eindrucksam profiliert. Valerio spaziert auf einem Seil hin und her, Einsatz von Zwergen und Spiegeleffekte steigern die Wirkung fast ins Gespenstige. Büchners witzig-ironischem Schluß ist eine Szene mit lehrhafter Aussage hinzugefügt.

Als dieser Valerio bekundet Peter Brogle besondere Beweglichkeit,

Romuald Pekny gibt den König als fast kasperlhaften Serenissimus, Marianne Nentwich wirkt als Lena liebenswert, ihre Gouvernante erhält durch Rosemarie Fendel drolliges Profil, Sylvia Mauas ist eine anschmiegsame Mätresse Rosetta. Als Maßgebliche des Hofstaats bieten Erik Frey und Peter Matte servile Devotion. Beachtliches Bühnenbild von Wilfried Minks: ein grüner Hügel, der sich bis über den Orchestergraben wölbt. Man kann da ausrutschen, Unsicherheit der menschlichen Situation wird manifestiert.

Die Zeit vergeht, wir werden uns dessen fast stündlich gewahr. Daß es sie nicht gibt, ist nahezu unvorstellbar, und doch kann das Gefühl entstehen — nicht in allen Menschen — als existiere sie nicht. Steckt das Zeitlose im Zeitbedingten? Vorstellungen dieser Art vermittelt das Stück „Vineta“ von Jura Soyfer, das derzeit außerhalb der Salzburger Festspiele in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters zu sehen ist.

Der Matrose Jonny erzählt, er sei Taucher gewesen, einmal habe die Luftzufuhr nicht funktioniert, so daß er zwischen Leben und Tod schwebte, bis er gerettet wurde. Da nun wähnte er in die angeblich vor sechshundert Jahren ins Meer versunkene Stadt Vineta versetzt worden zu sein, eine seltsame Stadt. In ihr steht ein Wächter seit übermorgen, ein Schiff, auf das eine Dame wartet, geht gestern, ein Schreiber sagt, Jonny solle vorgestern kommen. Gestern und morgen ist dasselbe. In dieser Stadt des Vergessens leben die Menschen nicht und bewegen sich doch, sie sprechen, aber arbeiten nicht, essen nicht, sterben nie.

Ein Zwischenzustand zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, aber vielleicht erst wahrhaft Wirklichen wird dargestellt, der einen eigentümlichen Reiz besitzt“' Es sind Vorstellungen, die in uns vage erstehen können, unser Sosein fragwürdig erscheinen lassen. Ob nicht die ganze Welt zu Vineta wird, wenn einmal die große Sturzflut kommt, fragt Jonny. Sie war da, kann wiederkommen. Das Fragwürdige des Wirklichen wird dann den Menschen wohl um so spürbarer.

Eben dieses Diffundieren des Zeitlosen mit dem Zeitbedingten wird unter der Regie von Wolfgang Glück das Erlebnis der Aufführung. Peter Uray spricht als Jonny lebendiger, urtmittelbarer, temperamentvoller als die Vineta-Menschen, die immer wieder in eine andere Dimension entrückt wirken: Georges Ourth als Stadtschreiber durch ruhig lächelnde Überlegenheit, Angelika Welzl als Lilie durch weibliche Attraktivität, der nur das eigentlich Zündende fehlt, Wilhelm Wiegand als Senator durch eine Energie, der die Kraft entzogen ist. Die Gestalten treten in Vineta — Bühnenbild: Bürgt Richter — vor und hinter einer Schleierwand auf, optisches Korrelat für das Ineinander zweier Welten.

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