Versucht und erfunden

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Die Geschichte der Naturwissenschaften, spannend erzählt.

Seit C.W. Cerams "Götter Gräber und Gelehrte" weiß man, dass Wissenschaftsgeschichte durchaus spannend vermittelt werden kann. In dieser Tradition beschäftigt sich Stephen Jay Gould, Professor für Geologie und Zoologie an der Harvard University mit der Geschichte der Naturgeschichte. Gould gilt in den USA als der am meisten gelesene Naturwissenschaftler.

Irrtümer und Fälschungen

Beginnend mit der Fossilienforschung im 18. Jahrhundert und deren aberwitzigen Fälschungen, die als Beringers Lügensteine in die Geschichte eingegangen sind und die dem Buch in abgewandelter Form auch seinen Titel gegeben haben, beschäftigen sich weitere Kapitel des Buches beispielsweise mit den Franzosen Lavoisier und Lamarck, die durch Klassifizierungsmodelle Systematik in die Naturwissenschaften brachten, und den großen Engländern Darwin und Owen, welche Bahnbrechendes im Bereich der Evolutionstheorie ge-leistet haben.

Hervorragend gelingt es dem Autor anhand von Beispielen und bisher nicht immer so beachteten Details nachzuweisen, dass auch große Wissenschaftler wie Galilei oder Darwin nicht vor ebenso großen Irrtümern und Fehlmeinungen geschützt waren.

Sehen und interpretieren

"Die völlig unvoreingenommene Beobachtung ist ein Mythos und eine leere Phrase der Naturwissenschaft: Wir sehen nur das was in unserem geistigen Rahmen Platz hat, und jede Beschreibung enthält neben der Wiedergabe des Wahr-genommenen auch eine Interpre-tation."

Die herausragende Leistung wirklich großer Forscher ist es, sich von diesen falsifizierten Gedankengebäuden zu lösen, neue zu entwickeln aber auch diese ständig kritisch zu hinterfragen und mit den Beobachtungen in der Natur in Übereinstimmung zu bringen. Richard Owen zog beispielsweise die Dinosaurier ausdrücklich dazu heran, um in der Generation vor Darwin die Vorstellung von einer Evolution zu untergraben. Aus heutiger Sicht natürlich schwer nachvollziehbare Thesen. Ohne diese kritischen Ansätze von Versuch und Irrtum ist aber auch keine wissenschaftliche "Evo-lution" möglich.

Informativ und lesenswert

Man erhält darüber hinaus Einblick in die Zufälle und Rahmenbedingungen in einem Forscherleben, welche nicht frei von Intrigen, Beschuldigungen und persönlichen Eitelkeiten sind. Nicht immer sind die größte Begabung und die brillianteste wissenschaftliche Leis-tung ausschlaggebend für Erfolg und Anerkennung der Zeitgenossen, sondern wie am Beispiel von Charles Darwin dargelegt, mitunter auch die Zugehörigkeit zu einer gewissen sozialen Schicht.

Gerade in seinen Spezialgebieten der Paläontologie und der Geologie gelingt es Gould virtuos die Rahmenbedingungen, die Forschungsergebnisse und persönliche Meinungen miteinander zu einem informativen, lesenswerten Essay zu verbinden. In den ersten drei Hauptkapiteln stehen jeweils herausragende Wissenschaftler im Mittelpunkt der Texte, während ab Kapitel 4 große Themen der Biologie mit ihren Auswirkungen ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden. Gould bereitet komplexe Forschungsergebnisse und Folgerungen so unterhaltsam und spannend auf, dass diese einem breiten Publikum näher gebracht werden - was leider im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb mit der hier vorherrschenden Elfenbeinturmmentalität nur ganz wenigen Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten gelingt.

Komplex und spannend

Einige ausgewählte Grafiken, Schwarzweiß-Bilder und Faksimiles ergänzen das Werk, wobei man sich eine umfangreichere Bebilderung zur plastischeren Darstellung der beschriebenen Vorgänge vorstellen könnte. Mit seinen mehr als 440 Seiten Umfang war hier sicherlich eine Grenze bei der Ausstattung des Buches gesetzt. Sehr positiv zu erwähnen ist die ausgezeichnete Übersetzung aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Bedauerlich ist nur, dass wir von Gould, der unter anderem mit Büchern wie "Ein Dinosaurier im Heuhaufen", "Illusion Fortschritt" auch im deutschsprachigen Raum zu den Bestsellerautoren zu zählen ist, durch den frühen Tod des Autors 2002 keine neuen Werke mehr erhalten werden.

Die Lügensteine von Marrakesch

Vorletzte Erkundungen der Naturgeschichte. Essays von Stephen Jay Gould

Verlag S. Fischer, Frankfurt 2003

442 Seiten, m. Abb. geb. , e 25,60

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