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Der Mythos bleibt

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Nicht nur in der Literatur, auch in der Literaturgeschichte wimmelt's von Legenden und Mythen. Und kaum eine literarische Institution war so von Legenden und Mythen umwoben wie die Gruppe 47. Sie hatte zwar keine Mitglieder, doch die berühmtesten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit gehörten ihr an. Sie wurde zur geistigen Heimat der Dichter, die am Aufbau eines demokratischen Deutschland mitwirken wollten, wurde aber von Hans Werner Bichter zwar klug, doch geradezu feudal geführt. Die deutschen Literaturpäpste reisten jedes Jahr geschlossen an, doch Adorno wurde nie eingeladen. Alle Teilnehmer waren gleich, doch wer Insider und wer Zaungast war, war sofort zu spüren. Die Autoren lasen ihre Texte vor und hatten in der nachfolgenden Debatte zu schweigen, aber bei der berühmtberüchtigten Tagung von 1966 in Princeton mit ihrer ohnehin bereits vergifteten Stimmung begründete ein eher als Zaungast eingeladenes, unbekanntes junges Selbstvermarktungsgenie aus Kärnten seinen Weltruhm, indem es alle anderen anrüpel-te, eine „ganz dumme und läppische Prosa” zu schreiben.

Schluß mit den Legenden und Mythen. Jetzt kann man nachlesen, wie es wirklich war. „Die Gruppe 47 in Bildern und Texten” von Toni Richter, der Witwe des Gründers, macht die Atmosphäre der frühen Nachkriegszeit stellenweise fast körperlich spürbar. Das Buch macht nachvollziehbar, wie Hans Werner Richter in der Aufbruchsstimmung der Nachkriegsjahre zum Katalysator einer Gruppe werden konnte, die, bei allen Divergenzen, die antinazistische Einstellung und die Abneigung gegen die ausgetretenen Pfade der Literatur verband. Und es hilft jedem, der es noch nicht begreift, zu verstehen, was das Ende der Gruppe 47 herbeiführte und eine Wiederbelebung unmöglich macht.

Der Bildband versammelt Texte von Mitgliedern der Gruppe 47 und über die Gruppe, mit verbindenden Berichten und Kommentaren Toni Bichters, die jahrelang als einzige die Tagungen fotografisch festhielt - wegen des Verschlußgeräusches nicht immer zur Freude ihres Mannes, aber schließlich hatte die laute Pentacon er ihr geschenkt. Die Bilder von den frühen Tagungen sind eine literaturhistorische Kostbarkeit, viele davon, und viele spätere bedeutendere Fotografen, sind im Buch. Es ist eine Freude für jeden, der sich für die Literatur der Nachkriegszeit interessiert, dokumentiert jede einzelne Tagung und ist eine Fundgrube von Informationen, die immer authentisch sind, weil sie von Teilnehmern stammen, und auch fast immer verläßlich.

Da und dort mag die Erinnerung dies und jenes retuschieren. Es bleibt also doch noch Baum für Legenden und Mythen.

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