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Über das Christliche am Wahlkampf

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Daß jemand Parteigänger, Freunde sucht, das ist schon seit 2000 Jahren so. Aber wie gewinnt man Mitglieder für die eigene Partei?

Soll man den zukünftigen Mitgliedern gleich die ganze Wahrheit sagen, das ganze Parteiprogramm? Es könnte ja sein, daß man damit die Leute vor den Kopf stößt.

Und - was die Außenstrategie betrifft - wie spricht man von den Gegnern? Ehrlich, fair, zynisch oder nur in hinterhältigen Anspielungen. Vitale „Menschenfischer" schmücken ihre Gegner gern mit Kraftausdrücken.

Die öffentliche Tätigkeit Jesu Christi wird man zwar nicht so ohne weiteres als Wahlkampf bezeichnen können, aber was seine Gegner betrifft, so war er nicht gerade zimperlich.

So hat er zum Beispiel die Pharisäer, also die Vertreter einer opportunistischen Politik, öffentlich durch seine „Wehe-Rufe" fertig gemacht.

Darum wandelt einer, der heute sagt: „Wehe euch, ihr SPÖler, ihr ÖVPler, ihr Grünen, ihr Hellblauen -oder wehe euch, ihr Freiheitlichen", durchaus auf biblischem Boden, vorausgesetzt, daß das, was er oder sie sagt, der Wahrheit entspricht.

Nur, was das Parteiprogramm betrifft, da kann man wohl über einen Jesus nur den Kopf schütteln. Ungeschickter und potscherter kann man es kaum machen.

Da rennt ihm einer nach und will sich ihm anschließen, aber er schreckt ihn mit seinen Forderungen direkt ab. Da glüht einer vor Idealismus, und ein Jesus sagt ihm ganz nüchtern: „Wenn Siemitmir gehen, denn werden Sie so manche Nacht obdachlos sein."

Da hat der abgeschreckte Mann natürlich schnell wieder Mitgliedsbeiträge für die Pharisäer einkassiert, damit er zu einer anständigen Wohnung kommt.

Und doch gibt es eine große Sehnsucht nach Wahrheit: In der Religion und in der Politik. Immer mehr Menschen wollen sich nicht mehr durch religiöse oder politische Sekten benebeln lassen.

Und sie ziehen die oft bittere Wahrheit einer berauschenden Illusion vor. Nur, wer den Politikern dauernd vorwirft, sie würden nicht die Wahrheit sagen, soll sich einmal ehrlich überlegen, ob er auch bereit ist, die Wahrheit zu hören.

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