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Wir und der andere Faust

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Zwischen dem vollendeten Goethischen „Faust“ und Ib6eus „Unvollendeter“: „Peer Gynt’ liegen mehr al6 3K Jahrzehnte europäischen Geistes. So greifbat die Ähnlichkeiten sind — der Mensch zwischen Himmel und Hölle, Wirklichkeit Und Traum, Liebe und Tat; die Walpurgisnacht, Gretdien und Solveig, Heimkehr und Erlösung —, so 6charf läuft auch wieder die Grenze zwischen beiden — messerscharf wie durch die unheilvollen geistigen Hälften des Jahrhunderts. Faust meistert eine Doppėlsėele. Peer Gynt sucht ln der ganzen Welt die falsche Hälfte seiner niemals ganzen Seele. Er ist einer der lauen, schwachen, , halben Frommen und Sünder, die selbst Tod und Teufel ausspeien, nur Rohstoff, nicht ganz wertloses Buntmetall für den Knopfgießer, der vielleicht noch einmal Form daraus werden lassen kann.

Unheimlich, wie nahe wir Heutigen diesem nicht bösartigen, aber gefährlichen Träumer sind, Als der erste deutsche Übersetzer des „Peer Gynt“ (L. Passarge, Königsberg 1880) die Idee des damals vielen unverständlichen und allen als unaufführbar geltenden „Drama- tischen Gedichtes’ etwas hausbacken als die Tragödie der Phantasie, die nicht zum Dichten komme, umschrieb, ahnte er nicht, daß er damit auch die Tragödie einer kommenden Zeit prophetisch beim Namen rief. Wir Peer Gynte, nicht Fauste…! Der Peers, die mit Gott und Menschen Schacher treiben, um das Weltkaiserreich zu errichten, der Trolle in tausendfacher Uniform, die nicht sie selbst, sondern sich selbst genug sind, sind wahrhaftig heute genug, und es steht nur noch der feierliche Augenblick aus, da im großen Irrenhaus der kaiserliche Strohkranz auf die Stirn der — vermutlich auch dann noch nicht sehr erschütterten —r Peers gedrückt wird. Doch stirbt mAn — im „Peer Gynt“ — „nicht mitten im fünften Akt“,.,. Pa ein versöhnliches Ende winkt, ist noch nicht alles verloren.

Vielleicht gelang gerade darum der Burgtheaterabend sc herrlich, so faszinierend. Unter der souveränen Geste des Schweizer Gastregisseurs erblühte das exotische Gewächs des „Nordischen Faust“, das Klassische und Romantische, das Weise und Schrullige, dąs Todernste und das Koboldartige, zu voller Pracht. Peer Gynt — Solveig — Aase: ein Dreigestirn vollendeten Schauspiels. Dovre- könig und Prinzessin, Anjtra und „fremder Passagier“: Kabinettstücke delikatester Chargenkunst. Dazu eine glanzvolle Parade fast des ganzen Hauses, Bühnenbild und tedmische Einrichtung: ein Festwochenereignis, eines der c indruckvollsten Wiener Theatererlebnisse der Nachkriegszeit, eine überzeugende Demonstration des Genius loci.

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