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Das neue deutsche Musiktheater

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Die beiden Exponenten des heutigen deutschen Musiktheaters, Carl Orff und Werner Egk, gehen in ihrem Schaffen für die Musikbühne völlig verschiedene Wege. Während sich Carl Orff von der traditionellen Form immer weiter entfernt, ja, während er mehr und mehr auf die Musik als Selbstzweck verzichtet, um offensichtlich einer neuen Synthese von Oper und Schauspiel zuzusteuern, hält Werner Egk an dem überkommenen Formgerüst der Oper fest; er, der immer aufs neue mit Leidenschaft die Meinung bekämpft, die Oper sei tot und könne nicht mehr zu neuem Leben erweckt werden, bekennt sich zur Wiedergeburt des musikalischen Theaters aus dem Geist der Melodie und '-der musikalischen Dramatik. .Von allen Spielarten des musikalischen Theaters“, so hat Egk einmal formuliert, „stellt die Oper die vollkommenste Verbindung des Dramatischen mit dem Musikalischen dar. In ihrer Idee liegt eine ausgewogene harmonische Proportion der dramatischen und musikalischen Grundelemente beschlossen, die die Vollkommenheit des Goldenen Schnittes zu erreichen vermag.“

Und Werner Egk fährt fort: „Was gegen die Oper so häufig und so beharrlich eingewendet wurde, sie sei ein fossiles Überbleibsel bürgerlicher Konventionen, die mit dem gründlichen Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft jede Existenzberechtigung verloren habe, trifft nicht den Typus, sondern nur seine spezielle Ausprägung innerhalb einer Epoche oder spezielle gedankliche Inhalte oder auch nur den architektonischen Stil der Opernhäuser, von denen in unserer so überbürgerlichen Zeit inzwischen allerdings genug abgetragen, verbrannt oder gesprengt wurden. Was gegen den illustrativen Musikbrei, den schillernden Tonsumpf der ins bombastische aufgeblähten Opern der Spätromantik gesagt wird, das trifft den Jugendstil und die Spätromantik, aber nicht die Oper als Begriff.“

Was Werner Egk als Opernkomponisten vorschwebt, ist eine Erneuerung der Oper oder vielmehr der Rückgriff auf ihre ursprüngliche, reine Form; deren Gestalten sind nicht mehr „wie in der Verfallszeit der Spätromantik pathologische Sonderfälle, neurasthenische Triebwesen oder photographierter Abklatsch der banalsten Alltäglichkeit, sondern Menschen, deren Schicksal ein Symbol für etwas Absolutes und Gültiges darstellt“.

Diesem ästhetischen Programm hat Werner Egk bisher vier Opernwerke gegenübergestellt: die im Jahre 1935 entstandene Oper „Die Zaubergeige“ (mit einem Text nach Pocci von Ludwig Andersen), 1938 „Peer Gynt“, 1941 die inzwischen erneut umgearbeitete Oper „Columbus“ und 1944 die Oper „Circe“ nach Calderons „über allem Zauber die Liebe“. Die innere Linie aller dieser Bühnenwerke entspricht dem Programm Werner Egks, Gestalten von zeitloser Allgemeingültigkeit und Bedeutung in den Mittelpunkt seiner musikalischdramatischen Vision zu stellen, und in der Oper, fern von jedem Realismus, den Zauber, die Magie walten zu lassen.

„Peer Gynt“, dem „Faust des Nordens“, entspricht in der „Circe“ der Magier und „Faust des Südens“, Columbus, der Entdecker Amerikas, ist eine Figur von säkularer Bedeutung; die Linie verstärkt sich noch, nimmt man Egks große Ballettschöpfungen hinzu, „Joan von Zarissa“, das die Gestalt des Don Juan beschwört, und „Abraxas“, eine Faust-Deutung in alt-neuer Form.

Es liegt auf der Hand, daß es einem Opernschöpfer wie Werner Egk, wenn er den „Peer Gynt“ in Angriff nahm, niemals darauf ankommen konnte, das bekannte Bühnenwerk eines Ibsen einfach zu „veropern“. Alles bloß Gedankliche, Problematische, Doktrinäre, Weltanschaulich-Polemische (mit dem Ibsen seinem norwegischen Volk einen wenig schmeichelhaften Spiegel vorhalten wollte) liegt dem Opernkomponisten fern. Er hat ausgeschieden, was seinen Zwecken nicht dienlich war, er hat einzelne Figuren weggelassen, verändert oder neu erfunden, auch der Text ist vom Komponisten neu geschaffen worden, die vielen kleinen Einzelszenen Ibsens sind auf neun Bilder verkürzt, der epische Bilderbogenstil des Dichters erscheint dramatisiert, zu scharfen Kontrasten zugespitzt und auf wenige tragende Grundgedanken verdichtet. Was Egk auf der Bühne will, ist blutvolles Leben, ist Handlung, gegenständliche Schaubarkeit. Den psychologisierenden Tiefsinn und die erzieherischen Absichten Ibsens konnte er nicht brauchen. Werner Egks musikalische und szenische Schöpferkraft entzündet sich vor allem am Phantastischen, Zauberischen und Magischen, am Gespenstischen, Uberwirklichen und Grotesken. Vor allem aber hat Egk dem ganzen Stoff eine klare ethische Linie gegeben und ihn weithin aktualisiert, in der Nähe unserer eigenen Gegenwart gerückt. Bezeichnend dafür sind mehrere Momente. Die Trolle sind bei Egk keine Fabelwesen mehr, sondern die erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeiten, eine Versammlung von Strebern, Pedanten, Beschränkten, Rohlingen, Sadisten und Gangstern. Peer Gynt, der in die Fremde gegangen ist, ist durch den Handel mit „Bibeln und Waffen“ reich geworden, ein smarter Geschäftsmann und nackter Materialist, der nach dem Grundsatz lebt: „Den Schwachen nicht, den Starken wird vergeben, und wer nicht selber tritt, der wird getreten.“ Und im vorletzten Bild wird Peer Gynt für seine frevlerischen Untaten vor ein Weltgericht gestellt, in dem alle, denen er Unrecht tat, als Zeugen wider ihn auftreten, so daß er schließlich unter der Last der Anklage zusammenbricht, bis ihn die treue Liebe der Solveig erlöst.

Charakteristisch für die Opemform Werner Egks ist die vielfältige Verwendung des Tanzes und der Pantomime als ebenbürtige Elemente der Handlung. Schon im ersten Akt bildet das Fortissimo des Hochzeitstanzes einen wirkungsvollen Gegensatz zu dem Pianissimo des ersten Auftretens der stillen Solveig. Der Fall Peer Gynts in die unterirdische Welt der Trolle zwischen dem zweiten und dem dritten Bild wird durch einen wirbelnden Tanz veranschaulicht, der eine Mischung von Clownerie, Akrobatik und Groteske darstellen soll, in der Trollwelt tanzen die Kuh Kitty und der Ziegenbock Kid einen tollen Walzer. Das sechste und ausgedehnteste Bild des ganzen Werkes, in der Hafenschenke, ist in der Hauptsache Ballett und Pantomime; es beginnt mit einem langen Tango und endet in einer großen Pantomime, in der in einer Zirkusmanege die Tänzerin-Dompteuse die Raubtiergruppe der fünf Männchen bändigt und ein wirbelnder Cancan das Ganze abschließt.

Werner Egks Musik zum „Peer Gynt“ ist getragen von einer überaus einprägsamen Melodik, fast wäre man versucht, von „Leitmotiven“ zu sprechen. Jede Figur hat ihre persönliche Melodie, Solveig die keusche Melodie mütterlicher Liebe und Anhänglichkeit, der träumende, bramarbasierende Peer Gynt wie Peer Gynt. der smarte Geschäftsmann, oder als Don Jüan sind durch entsprechende Melodien gekennzeichnet, ebenso wie „die Rothaarige“ oder „der Alte“. In der Harmonik knüpft Egk an die Technik der romantischen Oper an; der Vorhaltsakkord, mit dem das Vorspiel der Oper schließt, beherrscht die ganze Oper, so daß man ihn geradezu den „Peer-Gynt-Akkord“ nennen könnte, im Tango in der Hafenschenke, im Lied der „drei Vögel“ oder im Lied der wartenden Sol-kehrt er wieder. Ihren besonderen und ihre eigentliche Suggestions-kraft aber erhält die „Peer-Gynt“-Partitur durch die Instrumentation, in der Werner Egk ein besonderer Meister ist, die jedoch niemals nur um des Klangreizes willen da ist, sondern immer ihre innere Berechtigung und dramaturgische Funktion besitzt. So etwa, wie Solveigs Auf-trittslied mit einer „liegenden“ Stimme in den hohen Flöten, Celesta und Glok-kenspiel zum Symbol der unberührten Mädchenreinheit wird, wenn das Lied der wartenden Solveig durch das Harfen-pizzicato und den Ton gedämpfter Violinen charakterisiert ist oder das Lied des „Alten“ von der gestopften Trompete begleitet wird. Bei aller Raffinesse ist die Instrumentationskunst Egks immer sparsam, transparent und weit entfernt von jedem Klangrausch, Ausdruck einer musikalischen Haltung, die die Fäden zur Vergangenheit nicht verloren hat und dennoch aus dem Geiste der Gegenwart schafft. So ist Werner Egks „Peer Gynt“ ein beredtes Beispiel dafür, wie das moderne Musiktheater einen überkommenen Stoff vollkommen für den Stil und die Zwecke der Oper umschmilzt, ein uneingeschränktes Bekenntnis der Oper zu sich selbst und eine vorhaltslose positive Rückkehr zur Oper in ihrer opernhaften Form.

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