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Regen über San Domingo

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Kleist ist im Begriff, das Felsenriff zu werden, an dem die Komponisten unserer Tage zerschellen. Das ging Heimo Erbse mit seiner in Salzburg erstmals aufgeführten „Julietta“ so, das passierte Hans Werner Herze mit seinem „Prinz von Homburg“, obwohl er von Ingeborg Bachmann „bearbeitet“ worden war, und nun ist Werner Egk auf das Kleistsche Eis gegangen und eingebrochen. Unverständlich ist nur, daß Kleist immer wieder ausgewählt wird, obwohl doch seine Sprache jeder Vertonung zuwider steht, ja einfach unkomponierbar ist und auch seine Denkweise nirgendwo eine Ausdeutung im Ariosen, Melodischen oder auch Musikdramatischen zuläßt. Im Fall Werner Egk ist das Interesse an der Kleist-Novelle „Die Verlobung in San Domingo“ schon bei der Konzipierung seines „Columbus“ erwachsen. Auch San Domingo wurde von Kolumbus entdeckt und mußte eine gewaltsame europäische Kolonisation erdulden. Werner Egk schrieb sich sein Libretto selbst; es ist hervorragend gearbeitet, konzentriert und eindringlich. Was sich Kleist allerdings nicht hätte träumen lassen, ist das Aufblenden des Schwarzweißproblems, das in den beschwörenden Sätzen gipfelt: „Sie müssen lernen, miteinander zu leben, sonst müssen sie aneinander sterben.“ Kurz zur Handlung selbst: Der französische Offizier Christoph von Ried sucht Zuflucht im Hause der dunkelhäutigen Babekan. Ihre Tochter Jeanne verliebt sich in diesen Offizier, bemerkt aber gleichzeitig das Vorhaben ihrer Mutter, Christoph an den gefürchteten Neger Hoango auszuliefern. Um den Ge liebten zu retten, bindet ihn Jeanne an sein Lager, denn die Flucht brächte ihm den sicheren Tod. Christoph fühlt sich jedoch verraten, und als er von seinem Vater befreit wird, erschießt er das Mädchen Jeanne. Zu spät erkennt er, daß sie ihm das Leben rettete. Während er bei Kleist Selbstmord verübt, läßt in Egk in Einsamkeit und Schuld zurück. Egk hat ein Gespür für Zeitströmungen, und die jüngsten, tragischen Ereignisse haben dieser Uraufführung im neuerbauten Münchner Nationaltheater eine bestürzende Aktualität verliehen.

Obwohl sich der Komponist im Jahre 1959 während einer Antillenreise auch auf der Kolumbusinsel San Domingo umgesehen hat, schlägt uns aus der Partitur keine fremdländische Folklore entgegen (schade, denn Egk versteht sich darauf meisterhaft). Als einzige Konzession an Land und Leute brachte Egk ein Band mit einer originalen Schlagzeugepisode mit, das im Laufe der Handlung einmal abgespielt wird. Egk bekennt sich dabei erneut zur überlieferten Kunstform der Oper, zu tonal durchkomponierten Arien und Ensembles und gibt den lyrischen wie dramatischen Elementen ihr Recht. Das Orchester ist „klassisch“ besetzt, nur sind Hob und Schlagwerk verstärkt, und statt der Harfe findet ein Klavier Verwendung. Was Egk im „Columbus“ und im „Revisor“ gelang, nämlich einerseits der Aufschwung zu großen, melodischen Bögen und bildhaften Akzentuierungen, anderseits eine bestaunenswerte Charakterisierungskunst und musikalische Schilderung von Typen, davon ist hier wenig zu finden.

Nicht nur das Milieu erinnert an Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen“. Man vermißt den musikalischen e Elan in den „dramatischen Berichten“ i- von „Herrn Schwarz“ und „Herrn Weiß“, s man vermißt vor allem eine zwingende e kompositorische Konzeption. Dabei stand b in Evelyn Lear (Jeanne), Margarete 1 Bence (Babekan), Fritz Wunderlich 1 (Christoph), Hans Günther Nöcker g (Hoango), Mino Yahia (Gottfried von e Ried), Richard Holm (Herr Schwarz) a und Karl-Christian Kohn (Herr Weiß) - eine in jeder Hinsicht ideale Besetzung 1 zur Verfügung. Der Regisseur, Günther i Rennert, vollbringt auf seinem Simultan- . Schauplatz ein Äußerstes an gelöster, i temperamentvoller Spielführung, und der s Bühnenbildner Teo Otto läßt etwas ahnen . von der „grünen Hölle“ dieses Insel- , reiches, wobei der üppige Naturalismus t im Wolkenbruch aus Schnürlbodens . Höhen seine letzte Erfüllung findet, s Regen über San Domingo Für Werner ä Egk, der die Uraufführung persönlich i dirigierte, war es ein großer Erfolg.

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