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Aus Feind des Islam wurde „Beschützer“

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„Pakhtiar ist heute wie eine Kambodscha-Landschaft“, berichtete im Afghanen-Exil Peshawgr ein Flüchtling von einem Massaker, das kommunistische Regierungstruppen unter den Suna-Rebellen in der afghanischen Ostprovinz Pakhtiar angerichtet hatten. Diese Provinz war den Kommunisten Afghanistans im März dieses Jahres abgerungen worden und stand danach unter der Selbstverwaltung der Rebellen. Bis die kommunistischen Truppen, verstärkt durch zwangsverpflichtete Schiiten, zur Rückeroberung der Provinz antraten…

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„Pakhtiar ist heute wie eine Kambodscha-Landschaft“, berichtete im Afghanen-Exil Peshawgr ein Flüchtling von einem Massaker, das kommunistische Regierungstruppen unter den Suna-Rebellen in der afghanischen Ostprovinz Pakhtiar angerichtet hatten. Diese Provinz war den Kommunisten Afghanistans im März dieses Jahres abgerungen worden und stand danach unter der Selbstverwaltung der Rebellen. Bis die kommunistischen Truppen, verstärkt durch zwangsverpflichtete Schiiten, zur Rückeroberung der Provinz antraten…

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Im März hatten die Suna-Rebellen die verzwickte Lage der kommunistischen Herrscher in Kabul noch ausnützen können, zumal diese einen Zweifrontenkrieg fuhren mußten: gegen die Schia-Rebellen im Westen und gegen die Suna-Rebellen im Osten. Doch Ende Oktober schwiegen die Waffen an der zweiten Front im Westen, nachdem schon Mitte des

Monats auf einmal die Waffenlieferungen an die Rebellen aus Teheran nachgelassen hatten. Nun konnte Afghanistans kommunistischer Diktator Amin seine Truppen ganz gegen die Rebellengebiete im Westen konzentrieren, womit die Rückeroberung so gut wie gesichert war.

In den Regierungseinheiten kämpften auch zwangsverpflichtete Hazara-Schiiten aus dem Westen, die Kabul bisher nicht einzusetzen gewagt hatte. Amin, von den Mohammedanern zuvor als Feind des Islam bekämpft, räumte ihnen nun plötzlich Marschpausen für Gebete ein und erlaubte geistliche Truppenbegleiter.

Führer des Widerstands im Osten sind der Ansięht, daß die Waffenruhe in Westafghanistan im wesentlichen eine Waffenruhe Kabul-Teheran ist. Teheran habe schon bei der Vorbereitung der Besetzung der amerikanischen Botschaft Rückendeckung gesucht, Kabul wiederum habe die Möglichkeit zur Truppenkonzentration gegen die Rebellengebiete Pakh-

tiar und Nurislon gebraucht. Und der Kreml, der kräftig in der afghanischen Politik mitmischt, will schon seit langem das Ende des Kampfes zwischen dem Islam und dem Kommunismus, furchtet man in Moskau doch, daß dieser Kampf auch auf das eigene Staatsgebiet überschwappen könnte.

Das Massaker im Präsidentenpalais von Kabul am 14. September war der Höhepunkt einer Kraftprobe zwischen dem prosowjetischen Präsidenten Taraki auf der einen, und dem Parthaner-Kommunisten Amin auf der anderen Seite, der eine harte antiislamische Linie verfocht. Taraki war schließlich einer der fast 70 Liquidierten des 14. September. Amin aber ernannte sich sofort selbst zum Parteiführer und Präsidenten.

Die Sowjets hatten damit eine Entscheidungsrunde verloren und standen vor der Wahl, den kommunistischen Präsidenten offen zu bekämpfen oder einen Kompromiß mit den Siegern des Rivalitätskampfes zu suchen. Sie wählten beides:

Mit ihrer Hilfe retteten sich die überlebenden Mitglieder der Tara- ki-Fraktion, unter ihnen Innenminister Watanjar und Sicherheitschef Azadullah, in den Untergrund, um den kommunistischen Widerstand gegen das neue, ebenfalls kommunistische Regime zu organisieren. Die Sowjets suchen aber auch den Weg des Kompromisses mit dem Stärkeren.

Wie aus dem Zwangsreformer Amin plötzlich der „Beschützer des

Islam“ und der Mullahs wurde, ist noch unklar. Die neue Linie der Religionsfreundlichkeit gilt bis jetzt allerdings erst der Schia im Westen und sie hatte auch einigen Erfolg. Der Schiite Sorabi wurde jedenfalls in Kabul Berater für Minoritätsfragen und Schia-Probleme.

Inzwischen konnten die Schiiten aus der Partei- und Staatsbürokratie in Kabul Verbindung mit den Taijik-, Uzbek- und vor allem Hazara-Stäm- men aufhehmen. Selbst sowjetische Berater werden jetzt auf einmal geduldet.

Das alles ging ungewöhnlich rasch vor sich. Offenbar operierten Präsident Amin und die Sowjets doch in vollkommener Harmonie. Und Teheran, das bisher die schiitischen Rebellen gegen das kommunistische Regime in Kabul finanziert und bewaffnet hat, zieht sich zurück.

Präsident Amin aber, der durch seine Zwangsreformen den für Moskau so gefährlichen Krieg zwischen dem Islam und dem Kommunismus ja erst entfacht hatte, entlastet am Höhepunkt der Krise zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten den islamischen Eiferer Khomeini, ja spielt sich nun als Friedensstifter zwischen Kommunisten und Mohammedanern auf…

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