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„Denker und Denken nicht gefragt“

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Das Institut International de Philosophie, Paris, die internationale Akademie für Philosophie und philosophische Forschung, hat gelegentlich eines Kongresses in Helsinki im

Jahre 1970 unter ihrem Präsidenten Sir Alfred Ayer, Professor an der Universität Oxford, einstimmig beschlossen, bei den maßgebenden Stellen Österreichs gegen den Abbruch des Wittgenstein-Hauses in der Kundmanngasse, Wien III, vorstellig zu werden und mich ersucht, als Philosoph der Universität Wien und Präsident der Fėdėration International des Sociėtės de Philosophie die notwendigen Schritte sur Durchführung dieses Beschlusses zu unternehmen.

Ich wandte mich zuerst an den Referenten der Kulturabteilung der Stadt Wien und empfing die Versicherung, daß im nächsten Jahr, also 1971, das Bauwerk durch einen eigenen Gemeinde- ratsbeschluß vor dem Abbruch geschützt werden soll. Bekanntlich ist inzwischen durch einen Umwidmungsbeschluß des Gemeinderates das Gegenteil erfolgt.

Ich wandte mich gleichzeitig an das Bundesdenkmalamt und erhielt von Präsident Thalhammer ein Schreiben, in dem die Mitwirkung Wittgensteins an der Baugestaltung des genannten Hauses in Abrede gestellt und das Bauwerk als künstlerisch wertlos und daher „nicht erhaltungswürdig“ bezeichnet wurde. Nun wird es dennoch unter Denkmalschutz gestellt. Aber ge sichert ist es deswegen noch lange nicht.

Meine Erklärung, daß von seiten internationaler wissenschaftlicher Institutionen geplant ist, in diesem Hause ein Wittgenstein- Archiv und eine die gesamte Wittgentsein-Literatur umfassende Bibliothek, also ein zentrales Dokumentationszentrum für die Wittgenstein-Forschung zu errichten, wurde in diesem Schreiben nicht zur Kenntnis genommen. Die Erhaltung des Gebäudes wurde in diesem Zusammenhang als „falsche Heldenverehrung“ gekennzeichnet. Daß für einen Denker von der sekulären Bedeutung Wittgensteins in seiner Heimatstadt durch Einsatz der Spitzhacke die „wahre Heldenverehrung“ demonstriert wird, muß, wie das erste Echo der geplanten Tat schon beweist, das kulturelle Ansehen Österreichs im weitesten internationalen Horizont in unverantwortlicher Weise schädigen.

Man stellt sich die Frage: Wen kümmern schon hierzulande das geistige Antlitz Österreichs und die großen schöpferischen Leistungen österreichischer Philosophien, die von Denkern wie Brentano, Bolzano, von der Phänomenologie Husserls, dem „Wiener Kreis“, Wittgenstein und anderen repräsentiert werden. Da Denker bei uns derzeit offenkundig nicht gefragt sind, muß man

— ein Wort Martin Heideggers variierend — feststellen: „Das

Bedenklichste in unserem Land liegt daran, daß wir nicht denken.“

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