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Sprachkritik oder Sprachscholastik?

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Seit vier Jahren bevölkert sich Ende August der kleine niederösterreichische Ort Kirchberg am Wechsel für einige Tage mit Hunderten von Philosophen und Wissenschaftlern aus aller Welt. Das Wittgenstein-Symposium in Kirchberg ist bereits eine Institution geworden, die sich weit über die Grenzen Österreichs hinaus vornehmlich in der anglo-ame- rikanischen Welt steigender Beliebtheit erfreut.

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Seit vier Jahren bevölkert sich Ende August der kleine niederösterreichische Ort Kirchberg am Wechsel für einige Tage mit Hunderten von Philosophen und Wissenschaftlern aus aller Welt. Das Wittgenstein-Symposium in Kirchberg ist bereits eine Institution geworden, die sich weit über die Grenzen Österreichs hinaus vornehmlich in der anglo-ame- rikanischen Welt steigender Beliebtheit erfreut.

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Ludwig Wittgenstein, der von nicht wenigen als einer der bedeutendsten Denker unseres Jahrhunderts be- zeichnete österreichische Philosoph, der wie viele Österreicher erst außerhalb seiner Heimat zu Anerkennung gelangte, hat bekanntlich mehrere Jahre in kleinen Ortschaften der ,3uckligen Welt” als einfacher Volksschullehrer gelebt. Das liebevoll ausgestattete Wittgenstein-Museum in Kirchberg, wo neben einer reichhaltigen Dokumentation auch Wittgensteins Klarinette und Milchflasche ausgestellt sind, legt Zeugnis davon ab.

Das Thema des heurigen Kongresses - „Sprache, Logik und Philosophie” - knüpfte an Wittgensteins Denken an, ging aber sowohl in seiner Intention als auch in seiner Durchführung weit darüber hinaus. In fünf Sektionen, von denen eine Wittgenstein gewidmet war, die anderen den Themen „Sprache und Logik”, „Sprache und Handlung”, „Sprache und Realität”, sowie „Sprachphilosophie und Linguistik”, wurden über 125 Vorträge gehalten, an die sich oft sehr lebhafte Diskussionen anschlossen.

Wenn auch unbestritten ist, daß das Thema Sprache im gegenwärtigen Philosophieren eine ganz zentrale . Stellung einnimmt und hier gerade die analytische Philosophie in allen ihren Variationen eine führende Rolle beansprucht, konnte man sich doch des öfteren nicht ganz des Eindruckes erwehren, daß die inzwischen nahezu uferlos gewordenen Denkansätze und Entwürfe zum Thema Sprache zu einer Art neuen Scholastik geführt haben, Dieser Eindruck entstand vor allem dadurch, daß sämtliche Plenarsitzungen von Philosophen des angloame- rikanischen Raumes bestritten wurden, deren Bedeutung außer Frage steht (Seorle, Putnam, Wiggins, Chisholm, Davidson, Suppes), oder von kontinentalen Philosophen, die sich völlig dieser Tradition verpflichtet haben.

Wohl wurde durch Mitglieder des Organisationskomitees (R. Haller, W. Leinfellner) mit Recht darauf hingewiesen, daß es damit gelungen sei, die schöpferischsten Vertreter der einzelnen sprachanalytischen Richtungen in Kirchberg zu vereinen, doch vermißte man anderseits in den Plenarsitzungen zumindest einen größeren Beitrag zum Thema Wittgenstein oder dessen Stellung innerhalb der gegenwärtigen österreichischen oder kontinentalen philosophischen Landschaft.

So sah Brian McGuiness, führender Wittgenstein-Biograph und Nachlaßverwalter des längst noch nicht vollständig edierten Werkes, weite Teile des Symposiums als „innenpolitische Auseinandersetzungen der amerikanischen Sprachphilosophie” - wenn man etwa die auf die Wahrheitsbedingungen ausgerichteten semantisch orientierten Ansatz von D. Davidson, die international orientierte Sprachhandlungs- theorie von J. R. Seorle oder die vom Geist eines „internen Realismus” getragenen wissenschaftstheoretischen Ausführungen von H. Putnam zurückkommt

Überhaupt ergaben sich aus der Themenstellung natürlicherweise Schwerpunkte auf den Gebieten Linguistik, Semantik und Logik, die freilich im Spannungsfeld zwischen Umgangssprache und Wissenschaftssprache abgehandelt und diskutiert wurden. Daß sich dabei gerade eine Art Rehabilitation der U mgangssprache abzuzeichnen schien, was schon Karl Menger, einem ehemaligen Mitglied des Wiener Kreises, der als Mathematiker und Sozialphilosoph in den USA lehrt, in seinem Einleitungsreferat durch- blicken hatte lassen, ist als eine nachträgliche Bestätigung der Spätjphilo- sophie Wittgensteins interpretierbar.

Freilich hat diese „ordinary language philosophy” gegenüber ihren schon klassisch gewordenen Ursprüngen viele Wandlungen durchgemacht, die sich auch in den vielen Sektionsbeiträgen verfolgen ließen.

Die bedeutende Rolle von Philosophie als Sprachkritik, als Klärung der Grundlagen der Sprache in ihrer Beziehung zur Welt, zum Denken, zur menschlichen Handlung und Kommunikation wurde so erneut auf diesem Kongreß bestätigt, und damit sicher ein von Wittgenstein eingeschlagener Weg fortgeführt.

Aber auch die gleichsam „anderen” Seiten Wittgensteins kamen in Beiträgen vornehmlich europäischer Provenienz nicht zu kurz.

Daß Wittgensteins Denken weder in formal-logischer Sprachkritik noch in solcher der Umgangssprache aufgeht, sondern mannigfache ontologische, metaphysische, ethische und religiöse Implikationen aufweist, ist gerade in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch die Veröffentlichungen aus dem Nachlaß - der nach McGuiness noch einiges erwarten lassen wird -, deutlich geworden.

Neben geistesgeschichtlichen Affinitäten und Bezügen (Gargani, Nyi- ri, Kaizik, Kampits) wurden vor allem transzendentalphilosophische Problemstellungen (Wallner, Bachmeier) sowie phänomenologische (Wuchterl) und hermeneutische Gesichtspunkte (Fromm, Köchler) eingebracht, die deutlich machten, daß sich bei aller berechtigten Betonung der formallogisch-sprachanalyti- schen Seite des Wittgensteinschen Denkens dieses nicht darauf reduzieren läßt.

Ob sich schon daraus eine neue Eigenständigkeit kontinentalen Sprachphilosophierens gegenüber den angloamerikanischen Tendenzen ablesen läßt oder ob die Übernahme wissenschaftstheoretischer und formalanalytischer Forschungen, wie sie in den letzten Jahren auch im deutschen Sprachraum beobachtbar war, sich nur noch verstärken wird, muß freilich eine offene Frage bleiben. Vielleicht vermag das Thema des nächsten Kongresses „Ethik” darüber mehr Auskunft zu geben.

In jedem Fall aber könnte die Gestalt Wittgensteins auch in Zukunft dabei fruchtbare und wichtige Kontroversen auslösen - vor allem, wenn man sich an seine Mahnung hält, wie wenig damit getan wäre, wenn die philosophischen Probleme vermeintlich gelöst seien.

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