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Ludwig Wittgensteins verschiedene Seiten

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Die Philosophie Ludwig Wittgensteins, der 1951 in Cambridge starb, ist erst im letzten Jahrzehnt - weltweit - zum Objekt wissenschaftlicher Diskussionen geworden. Daß die - nicht nur im deutschen Sprachraum angelaufene Wittgenstein-Welle sich auch in Italien kräftig ausbreitet, wurde bei dem Symposion in Rom bestätigt, das jüngst am österreichischen Kulturinstitut gemeinsam mit dem Instituto di Filosofia der Universität Rom veranstaltet wurde. Prof. Peter Kampits vom Philosophischen Institut der Universität Wien bemüht sich in seinem Schlußreferat, Wittgensteins Sprachspiele und das dialogische Sprachdenken Ferdinand Ebners zusammenzudenken und konnte dadurch die Diskussion neu entzünden und polarisieren. Er berichtet für die FURCHE vom Ablauf der Tagung.

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Die Philosophie Ludwig Wittgensteins, der 1951 in Cambridge starb, ist erst im letzten Jahrzehnt - weltweit - zum Objekt wissenschaftlicher Diskussionen geworden. Daß die - nicht nur im deutschen Sprachraum angelaufene Wittgenstein-Welle sich auch in Italien kräftig ausbreitet, wurde bei dem Symposion in Rom bestätigt, das jüngst am österreichischen Kulturinstitut gemeinsam mit dem Instituto di Filosofia der Universität Rom veranstaltet wurde. Prof. Peter Kampits vom Philosophischen Institut der Universität Wien bemüht sich in seinem Schlußreferat, Wittgensteins Sprachspiele und das dialogische Sprachdenken Ferdinand Ebners zusammenzudenken und konnte dadurch die Diskussion neu entzünden und polarisieren. Er berichtet für die FURCHE vom Ablauf der Tagung.

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Um das Denken Ludwig Wittgensteins hat es bekanntlich eine eigene Bewandtnis. Lange nur im angelsächsischen Raum lebendig und fruchtbar, dort sprachkritisch-analytisch und später im Sinne der „ordi-nary-language-theory“ interpretiert, begann vor etwa mehr als einem Jahrzehnt auch die Rezeption dieses eigenwilligen Denkers auf dem Kontinent

Zunächst übernahm man Wittgenstein durchaus im Sinne der analytisch-antimetaphysischen Deutung. In der Folge stellten sich auch so-zialwissenschafüiche, hermeneuti-sche, existentialistische, phänome-

nologische, ja sogar theologische und marxistische Deutungsversuche ein.

Daraus zu schließen, Wittgensteins eigenartiges, zwischen nahezu ma-thematisch-logistischer Präzision und sybillinischen Aphorismen schillernde Werk, biete nun einmal für jeden etwas, wäre sicher verfehlt. Daß sich aber Wittgenstein wohl kaum auf eine einzige monistische Deutung reduzieren läßt, sondern für eine Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten offen ist, wurde gerade auf diesem römischen Symposion deutlich. Ein zusätzlicher Reiz lag sicher auch in der Konfrontation Wittgensteins mit den italienischen Denktraditionen, in seiner Enthaltung von jedweden unmittelbar sozio-politisch auslegbaren Aussagen, wie sie gerade Italien gegenwärtig besonders bewegen.

Der Titel, unter den dieses Sympo-

sion gestellt war („Sprache und Erkenntnis als soziale Tatsachen“) schien zunächst in diese Richtung zu weisen. Unter Zwischenschaltung der Bedeutung der Sprache versuchten denn auch der römische Philosoph und Kommunist Tullio de Mau-ro, der auf dem Saussure-Lehrstuhl in Genf lehrende Luis Prieto, sowie Ferrucio Rossi-Landi aus Triest auf die Bedeutung der Praxis zu rekurrieren, wobei Wittgensteins „Lebensformen“ im Sinne gesellschaftlicher Praxis gedeutet wurden. Rossi-Landi stellte etwa den Entfremdungsbegriff von Karl Marx unter Beibeziehung von Freud als mögliche Quelle

des Sprachmißbrauches bei Wittgenstein dar.

Daneben gab es aber auch einen direkten Bezug zum Wissenschaftsbegriff der Soziologie (Vaclac Beloh-radsky, Genua) sowie eine breite Palette von Beiträgen, die die Bedeutung Wittgensteins für die Linguistik in den Mittelpunkt stellten. Brian McGuiness aus Oxford, gleichsam Spezialist in Sachen Wittgenstein, gab eine detaillierte Interpretation des „Tractatus“, nicht ohne auf die ontologischen Hintergründe dieses Werkes hinzuweisen.

Bei aller Rezeption Wittgensteins im Sinne des formalanalytischen und sprachkritischen Philosophierens wurde in den österreichischen Beiträgen doch auch deutlich, daß das in Wittgensteins Ringen um die Sprache sichtbar werdende „Ungesagte“ mehr und mehr zum Tragen kommt.

Selbst der analytische Philosoph Rudolf Haller (Graz) konnte nicht ganz umhin, auch den gleichsam „anderen“ Wittgenstein anzudeuten und auf die Einflüsse Oswald Spenglers hinzuweisen.

Gerhard Rod (Innsbruck) verwies auf die Notwendigkeit, Wittgensteins Verdikt des Sprachmißbrauches der Metaphysik differenzierter zu sehen, und Gerhard Frey (Innsbruck) stellte die transzendentale Deutung Wittgensteins zur Diskussion.

In allem genommen schien - zumindest aus der Erfahrung dieses Symposions - die Wittgensteinrezeption in Italien eher vielschichtiger und pluralistischer als in seinem Heimatland. In jedem Fall aber ist sie weniger eng und esoterisch, wie dies gelegentlich bei den Wittgenstein-Kongressen im österreichischen Kirchberg suggeriert wird.

Gemessen am nicht unbeträchtlichen Aufwand der sprachphilosophischen und sprachwissenschaftlichen Diskussion unserer Tage, ging es bei diesem römischen Symposion eher darum, sich Wittgenstein von verschiedenen Seiten her zu nähern, auch auf die Gefahr eines allgemeinen Relativismus in seiner Interpretation hin. Sicher hat dazu auch beigetragen, daß Wittgenstein in Italien schon viel früher beachtet und übersetzt, jedenfalls nie nach langer Vernachlässigung plötzlich in den Mittelpunkt philosophischer Diskussion katapuliert wurde.

In Rom jedenfalls blieb seine eigene Befürchtung weitgehend aus: „Die einzige Saat, die ich wahrscheinlich säen werde, ist ein bestimmter Jargon.“

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