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Die Welt als Sprache

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„Sprache und Ontologie" war das Thema des 6. Treffens von Gelehrten im Geiste Ludwig Wittgensteins. Mehr als 120 Philosophen führten in der niederösterreichischen Ortschaft in fünf Sektionen eine fruchtbare Diskussion über Philosophie als Sprachkritik.

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„Sprache und Ontologie" war das Thema des 6. Treffens von Gelehrten im Geiste Ludwig Wittgensteins. Mehr als 120 Philosophen führten in der niederösterreichischen Ortschaft in fünf Sektionen eine fruchtbare Diskussion über Philosophie als Sprachkritik.

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Es gibt keine Regeln oder Vorschriften darüber, wie Ontologie zu betreiben ist. Man kann Ontologie „am Leitfaden" der Wissenschaften betreiben, man kann aber auch, frei von wissenschaftlichen Zwängen, darüber nachdenken, ob diese Welt die beste al-

ler Welten, die einzig mögliche oder eine unter vielen möglichen Welten ist.

Die Philosophen, die sich heuer in Kirchberg versammelten, gehören in der Mehrzahl der „analytischen" Richtung der Philosophie an und neigen dazu, Ontologie wissenschaftlich zu betreiben. In diesem Sinne versteht sich Ontologie auch als eine Grundlage der Wissenschaften, die imstande ist, Denkanstöße an die Einzelwissenschaften zu vermitteln.

Unter den Ontologen gibt es solche, die „Weltmodelle" entwerfen, solche, die versuchen ‘zu erklären, wie die Welt funktioniert — und solche, die sich einfach die nicht einfache Aufgabe gestellt haben, die Welt richtig zu beschreiben.

In Anlehnung an Wittgensteins Auffassung, daß Philosophie wesentlich Sprachkritik ist, hatte die Kritik, die an ontologischen Systemen in Kirchberg geübt wurde, zumeist die Form sprachkritischer Analysen. Dem Schöpfer ei-. nes bestimmten Weltbildes wird zum Beispiel vorgeworfen, daß er in seinem Entwurf einen Begriff

in unzulässiger Weise mehrdeutig verwendet hat und damit sich und andere getäuscht hat. Auf diese Weise kommt die Lehre von den Bedeutungen und dem richtigen Gebrauch der Worte ins Spiel, die man heutzutage Semantik nennt.

Daß man sich heute Gedanken darüber macht, wie mit Worten getäuscht und gelogen werden kann, ist zweifellos ein Fortschritt im besten Sinne. Wenn von einem technischen Fortschritt von vornherein nicht gesagt werden kann, ob er auch schädliche Auswirkungen mit sich bringt, so kann es doch in keiner Weise schädlich sein, scharfsinnigem Lügen und Selbstbelügen auf den Grund zu gehen. Das Charakteristikum einer „scharfsinnigen" Lüge ist ja gerade ihre „Verstecktheit". In ihrer Verborgenheit liegt das Unheil. Mit Hilfe scharfsinnigen Lügens und Selbstbelügens können Uberzeugungen entstehen und erzeugt werden.

In der Sprache in Form von Irrtümern und Lügen vorhandener Unsinn kann Fruchtlosigkeit und Unsinnigkeit in alle menschlichen Unternehmungen hineintragen und das in einem Ausmaß, das alle Vorstellungen überschreitet. In der Sprache verborgener Unsinn kann dazu führen, daß eine zivilisatorische Lebensform überwiegend krankhaft wird. Die Lebensform der europäischen und amerikanischen Industriegesellschaft erschien Wittgenstein insgesamt „als fremd und unsympathisch".

Sicher ist es richtig zu sagen, daß zwischen den Weltbildern der rund 120 Vortragenden und 400 Teilnehmer des VI. Wittgenstein-Symposiums beträchtliche Unterschiede bestanden, wenn sie

auch in gewissem Sinne eine „Denkgemeinschaft" darstellten. Es kann daher nicht behauptet werden, daß diese Gemeinschaft von Philosophen irgendeinen gemeinsamen Standpunkt vertritt. Es läßt sich aber sagen, daß sich Anhänger der analytischen Philosophie methodologisch verbunden fühlen.

Sie sehen ihre Aufgabe nicht so sehr im Aufstellen philosophischer Sätze, sondern sie verstehen Philosophie im Sinne Wittgensteins als eine Tätigkeit, die wesentlich zur Klarstellung von Sätzen führen soll. Sie wollen in der Sprache verborgenen — nicht offenkundigen - Unsinn zu offenkundigem Unsinn machen, zu Unsinn, den jedermann sehen kann.

An Hand sehr präziser Aussagen, die Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen" gemacht hat, läßt sich feststellen, daß er weder zu den Entwerfern von Weltmodellen, noch zu den Erklärern der Welt zu zählen ist. Was die Möglichkeit einer Welterklärung betrifft, wendet sich Wittgenstein ganz entschieden gegen eine solche, indem er sagt: „Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten." Dieser Satz wendet sich prägnant gegen einen okkulten Atheismus der Wissenschaften, der „erklärerisch" versucht, die Welt zu „entwundern" und damit die Grundlage für einen ideologischen Atheismus liefert. Um diese Interpretation glaubwürdig erscheinen zu lassen, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß biographisch nachweisbar ist, daß sich Wittgenstein als religiöser Mensch verstanden hat.

Sir Karl Popper, der in bestimmtem Sinne als Gegenspieler Wittgensteins gesehen werden muß, sieht die philosophische Bedeutung der Darwinschen Lehre darin gegeben, daß „was Darwin uns zeigte, war, daß der Mechanismus der natürlichen Auslese — im Prinzip — die Aktionen des Schöpfers und seine Absichten und seinen Entwurf simulieren kann". Popper will damit sagen, daß das Wunder der Evolution sozusagen durch eine kausale Erklärung ersetzbar ist.

Demgegenüber sieht Wittgenstein weit klarer als Popper das gefährliche Vorurteil, das mit einer kausal-wissenschaftlichen Denkweise für eine unvoreingenommene Weltsicht und Weltbeschreibung gegeben ist. Wittgenstein schreibt: „Das Verführerische der kausalen Betrachtungsweise ist, daß sie einem dazu führt, zu sagen: ^Natürlich - so mußte es geschehen. Während man doch denken sollte: so und auf viele andere Weise kann es geschehen sein."

Man muß hier klar sehen, daß es begriffliche Unterschiede zwischen naturwissenschaftlichen Theorien gibt, auf die Wittgenstein mit seinem Aphorismus hinweisen wollte.

Die Newtonsche Gravitationstheorie ist eine beschreibende Theorie, die die Naturgesetzlichkeit der Schwerkraft zwar unvollkommen, aber nicht falsch beschreibt. Eine beschreibende „Theorie" ist im Grunde keine Theorie, sondern eben eine Beschreibung und kann als solche nicht völlig falsch sein.

Die Darwinsche Theorie ist hingegen eine echte, eine „erklärende" Theorie und kann unter Umständen als schöpferische Phantasie Darwins völlig falsch sein. Es ist möglich, daß dieser Welt die logisch nicht begründbare Tendenz innewohnt, sich geradewegs, also nicht auf dem Umweg von „Versuch und Irrtum" (über planlose Mutationen mit nachfolgender Auslese) nach dem Willen des Schöpfers zu entwickeln. Niemand in dieser Welt ist imstande, diese Möglichkeit zu bestreiten, und damit ist eine Klarstellung eines Sachverhaltes erfolgt, die wir Wittgenstein zu verdanken haben.

Um derartige Klarstellungen ging es im Grunde allen Philosophen, die in der Nachfolge Wittgensteins stehen, und von denen sich einige zwischen dem 24. und 30. August dieses Jahres in Kirchberg zusammengefunden hatten.

Der Autor ist Präsident der österreichischen Uidwig-Wittgenstein-GeselUchaft

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