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Bis an die Sprachgrenze

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Daß sich der heurige - vierzehnte - Wittgenstein-Kongreß in Kirchberg am Wechsel ganz unter dem Zeichen der Wiederkehr des 100. Geburtstages des großen Ludwig vollziehen würde, lag auf der Hand, Und die über 500 Teilnehmer aus aller Welt folgten auch dem Ruf und verwandelten die kleine malerische Ortschaft auch dieses Jahr in einen philosophischen Ameisenhaufen, in dem es selbst für Wittgensteinkenner nicht ganz einfach war, sich zurechtzufinden.

Auch wenn es allzu billig wäre, Spekulationen darüber anzustellen, wie sehr der solcherart Gefeierte allen Rummel um seine Person verabscheut hätte - er, der sich Lob und Huldigung schon zu Lebzeiten verbat -: daß Wittgenstein die philosophische Landschaft des 20. Jahrhunderts zutiefst verändert hat, daran besteht kein Zweifel. Er, dessen Zeit als Volksschullehrer in Otterthal und Trattenbachnun auch an Hand der liebevoll restaurierten Wohnkammer im Gasthof zum „Braunen Hirschen“ optisch nachvollziehbarwird, dem man in Kirchberg ein kleines Museum gewidmet hat, in dem neben seinen Büchern und seiner Klarinette auch ein von ihm zu Lehrzwecken präpariertes Katzenskelett zu sehen ist, sollte dieses Jahr nicht bloß gefeiert werden. Das Symposion hatte sich in seinem Titel das anspruchsvolle Vorhaben gestellt: „Wittgenstein -eine Neubewertung“.

Um es vorwegzunehmen: Zu einer grundsätzlich neuen und revolutionären Sicht auf sein Werk kam es wohl ebensowenig wie zu einer Interpretationswende, wie sie historisch bereits erfaßbar ist, wenn man die verschiedenen Wellen der Neuinterpretationen von der positivistischen über die existentielle, sprachanalytische, transzendentale, hermeneutische oder gar postmoderne in Betracht zieht

Auch die verzwickte Editionslage seines immer noch teilweise unveröffentlichten Nachlasses ließ kaum erwarten, daß sensationelles Material einen völlig neuen Wittgenstein enthüllen würde. Die zur Sensation hinaufstilisierten „GeheimenTagebücher“, inzwischen in spanischer und italienischer Sprache erschienen - letztere vom großen Wittgensteinkenner Aldo Gargani besorgt sieht Kurt Hübner, der seit 1076 die Symposien in Kirchberg organisiert und der den großen Ludwig gewissermaßen in Österreich wieder gesellschaftsfähig gemacht hat, als Dokument eines „schwachen Menschen, der sich selbst überwunden hat“. Aber sie haben keine Wende in der Beurteilung ausgelöst. „Tracta-tus“ und „Philosophische Untersuchungen“ stellen ebenso ein nahezu unerschöpfliches Bergwerkfür neue ,,Millimeterinterpretation'' dar, wie die sogenannten Zwischenwerke („Philosophische Bemerkungen“, „Philosophische Grammatik“, et cetera). Auch die Tatsache, daß Wittgensteins Großneffe - Deszendent des Pianistenbruders PaulWittgenstein und Computertechniker in den USA - in Kirchberg eine Software-Theorie vorstellte, die auf den Beziehungen zwischen Sprache und Welt aufbaute, wie sie Großonkel Ludwig im „Tractatus“ entworfen hatte, gibt zwar eine interessante Nuance, aber keinen zureichenden Grund zu einer Neubewertung.

Zwischen vielen Details zur Psychologie, zurEthik, zur Religion und Sprache, und den üblichen Vergleichen Wittgensteins mit anderen philosophischen Heroen gab es von seiten der prominenten Wittgenstei-nianer freilich viele Nuancierungen - auch wenn etwa K O. Apel (BRD), J. Bouveresse (Frankreich) oder S. Kripke (USA) letztlich absagten. Ob freilich S. Toulmins Versuch, Wittgenstein als Revisor der gesamten neuzeitlichen Philosophie in die Linie der großen antiken Skeptiker zu stellen, tragfähig ist, soll ebensowenig entschieden werden wie C. Nyiris These, daß das Vertrauen ins gesprochene Wort, im Gegensatz zur Bildtheorie des „Tractatus“, als eigentlich zukunftsweisende Botschaft Wittgensteins anzusehen sei. Ähnliches gilt auch für K. Mulli-gans Beschreibungstheorie oder A. Janiks scharfe Abhebung Wittgensteins von allem traditionellen Philosophieren.

Denn ob damit auch Wege für ein Philosophieren nach Wittgenstein -freilich auch mit ihm - freigelegt werden können, ist offen. Da kann auch ein Spaziergang auf dem Wittgensteinpfad wenig helfen, dessen markante Zitate auf Holztafeln ein wenig an einen Kalvarienberg erinnern.

Wie auch immer der Philosoph, der - wie Rudolf Haller in seinem ausgewogenen Einleitungsvortrag festste llte-betonthatte, daß alles Begründen, Beweisen und Erklären ein Ende hat und daß wir nie „hinter“ die Sprache gelangen können, der gesagt hatte, daß die Philosophie „alles läßt, wie es ist“ und daß das Philosophieren vornehmlich Arbeit an einem selbst wäre, gibt immer noch Rätsel auf. Er hat der Philosophie mit seiner Sprachkritik eine entscheidende Grenze gezogen, jenseits derer sich nicht mehr unbefangen etwas aussagen läßt.

Daß in der Eingangsballe des Kongreßzentrums sogar ein T-Shirt mit Wittgensteins Porträt zu erstehen ist, sollte seine Bedeutung nicht profanisieren. Sein einsames und leidenschaftliches Ringen mit den Grenzen der Sprache macht ihn in jedem Fall zu einem ExempeL Es wird nicht so schnell ein Ende um Wittgenstein geben, auch wenn man im wissenschaftlichen Komitee des Symposions überlegt, ihn nächstes Mal durch andere Themen als ihn selbst zu ehren.

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

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