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Der Dorschkrieg geht weiter

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England, der NATO-Verbündete und EWG-Genosse Islands, ist zugleich seit mehr als 20 Jahren Islands einziger und heftigster Gegner: wenn es um die Ausbeute der reichen Fischgründe vor den isländischen Küsten geht.

An diesem Junitag hatte wieder einmal ein isländisches Kanonenboot einige englische Fischerkutter innerhalb der von Island eigenmächtig deklarierten 50-Meilen-Zone aufgetrieben. Via Funk ersuchte der isländische Kapitän seinen englischen Kollegen, abzudrehen und das isländische Hoheitsgebiet zu verlassen.

Der Engländer weigerte sich. Der isländische Offizier jedoch drohte mit einem Schuß vor, und wenn auch das nichts nützen sollte, in den Bug.

Der Engländer bedauerte.

Die Isländer brachten ihre Kanone in Anschlag. Aber bevor das Feuerkommando gegeben wurde, ersuchten sie via Funk ihre englischen Seekollegen, nach achtern zu gehen: damit sich niemand verletze. Nachdem

die Engländer im Heck ihres Schiffes in Deckung gegangen waren, krachte der erste Schuß.

Als der Trawler weitere Treffer abbekommen hatte, beschloß der Kapitän endlich, seine englische Hartnäckigkeit aufzugeben, und drehte bei. Die Matrosen kamen aus ihrer Deckung und berieten, ob sie mit ihrem leckgeschossenen Boot noch Old England erreichen könnten. Da bot ihnen der Isländer an, sie in den Hafen von Reykjavik zu schleppen, um dort die Reparatur durchführen zu lassen. Dankend lehnte der Brite ab und dampfte mit eigener Kraft Richtung Leith.

Die isländische Fischereischutzzone entlang der Küste betrug früher drei Meilen. Im Jahre 1952 hatte die Regierung diese Zone auf vier Meilen ausgedehnt. Zum Protest sperrten die Engländer, als die an den isländischen Fischbänken am meisten interessierte Fremdmacht, alle englischen Häfen für isländische Schiffe. Die Blockade erwies sich als

unwirksam, und England gab nach einiger Zeit auf. 1958 erweiterte Island abermals einseitig seine Fischereigrenzen auf zwölf Meilen — immer gerechnet zu je 1852 Meter. Als Gegenmaßnahme entsandten die Engländer mehrere Kriegsschiffe vor die isländische Küste. Es kam zu einigen Zwischenfällen, und die NATO erlitt vorübergehend eine Krise, da sowohl England als auch Island in der North Atlantic Treaty Organization vertreten sind. Erst die Anerkennnung der neuen 12-Meilen-Zone durch die Sowjets ließ auch die

Engländer nachgeben. Mit Wirkung vom 1. September 1972 erweiterte Island seine 12-Meilen-Zone auf 50 Meilen. Ein halbes Jahr später standen wieder englische Kriegsschiffe vor der isländischen Küste.

Vergleicht man die isländischen Schelfgebiete mit der 50-Meilen-Grenze, so wird man eine weitgehende Deckung der beiden Zonen feststellen. Der Schelfsockel aber ist die natürliche Grundlage für den gesamten Dorschbestand. Die Versuche der Isländer, die einzige wirtschaftlich verwertbare Ressource ihres Gebietes zu schützen, sind daher ökonomisch verständlich.

lebenswichtig. Der Grund dafür liegt in den geographischen Gegebenheiten: Der Zusammenfluß kalter und warmer Meeresströmungen beeinflußt nicht nur das Klima Islands, er ist auch die Hauptursache für den Fischreichtum rund um die Insel. Das Wasser im Schelfgebiet Islands ist reich an mineralischem Dünger, der von den verschieden temperierten Wassern aufgerührt wird und das Entstehen von marinen „Weiden“ begünstigt. In ihnen bildet sich reichlich Plankton, das die Hauptnahrung aller höheren Lebensformen im Meer darstellt, vor allem der Fische und der Wale. Die Wasser um Island zählen daher zu den besten Fischgründen der Erde. Trotzdem blieb die Fischerei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts unbedeutend und wurde erst nach dieser Zeit zu einer selbständigen Industrie. Die Blütezeit setzte jedoch erst mit dem Zeitalter der Trawler ein, in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts. Heute sind 730 Schiffe dieses Typs unterwegs, unterstützt von 1100 offenen Motorbooten, die es im Jahr 1969 gemeinsam auf 690.000

Tonnen Fisch brachten. 1972 stieg der Fang auf 739.000 Tonnen. Damit ist die isländische Fischereiflotte eine der leistungsfähigsten der Welt.

Die traditionellen Fischarten sind der Kabeljau oder Dorsch, der Schellfisch und der Hering. Da die riesigen Heringschwärme in den letzten Jahren ausgeblieben sind, mußte sich die isländische Fischindustrie auf andere Arten umstellen: heute werden an Stelle des Herings Hummer, Lodde, Schwarzer Heilbutt und Stintdorsche gefangen, doch bildet nach wie vor der Kabeljau den wichtigsten Exportartikel. Aus ihm werden Stock- und Klippfisch verarbeitet, beides Exportprodukte erster Klasse, die vor allem in südliche Länder, wie Italien, Westafrika oder Brasilien, gehen, wo sie teils als billige Fastenspeise, teils als proteinreiches Zusatznahrungsmittel Verwendung finden.

In Havlf jördur besitzt Island seine einzige Walstation, rund 80 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ganz in der Nähe der unterirdischen Treibstofflager für NATO-Untersee-boote gelegen. Fast täglich werden ein oder zwei Wale an Land gezogen und innerhalb zweier Stunden vollkommen tranchiert. Rund 500 Stück fängt man pro Saison. Von den tonnenschweren Pott- und Finnwalen bleibt nicht einmal das Skelett

übrig. An Ort und Stelle wird das Fleisch verarbeitet, gekocht, abgepackt und eingedost.

Islands Exporte werden heute zu 74 Prozent aus dem Fischereisektor bestritten — der Fischreichtum der isländischen Küstengewässer stellt also eine Art Monokultur dar. Kein Wunder, daß sich der Staat dagegen wehrt, daß fremde Nationen vor den Toren Islands den einzigen Reichtum der Insel wegfangen — in Dimensionen, die in die Hunderttausende Tonnen gehen. Die Konkurrenz ist erbittert, und Rücksicht auf die bestehenden Ressourcen wird keine genommen. Besorgt haben die isländischen Fischer daher das stete Abnehmen der Fischgrößen registriert. Das durchschnittliche Gewicht der Dorsche ist bedenklich zurückgegangen, der Hering ist völlig ausgeblieben.

Meeresbiologen haben ausgerechnet, daß heute jährlich 70 Prozent des gesamten Dorschbestandes auf den isländischen Fischbänken gefangen werden. Man kann sich ausrechnen, wie lange es dauern wird, bis auch der Dorsch ausbleibt

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