6811221-1972_35_08.jpg
Digital In Arbeit

Hähnchen statt Makrelen

Werbung
Werbung
Werbung

Wieder einmal hat' das kleine Island in seinem Kampf um die Lebensgrundlagen der Fischerei die großen Fischereinationen vor vollendete Tatsachen gestellt und sie zu heftigen Protesten veranlaßt: Ab 1. September erweiterte es seine nationale Fischereizone von 12 auf 50 Seemeilen vor Land. Großbritannien uhd Westdeutschland verlangen vom Internationalen Gericht in Den Haag die Verurteilung Islands wegen Verletzung internationaler Bestimmungen; betroffen sind aber auch die Fischer aller anderen Nationen, vor allem die Dänen, die Norweger, die Ostdeutschen und die Russen. Es besteht die Gefahr, daß andere Regierungen zu ähnlichen Maßnahmen greifen, womit ein hochbrisanter Konfliktstoff geschaffen wäre.

Was veranlaßte Island zu dieser Erweiterung seiner Seegrenze?

Auch ein nur flüchtiger Blick auf die wirtschaftliche Situation des kleinen Inselstaates läßt unschwer erkennen, daß sich Island hier in einer unvergleichlich empfindlicheren Lage befindet als alle anderen Länder. Um die Einseitigkeit der wirtschaftlichen Struktur zu ändern, bemüht man sich seit einer Reihe von Jahren um den Ausbau des bescheidenen industriellen Sektors.

Man erzielte dabei einige Erfolge, doch noch immer kommen 20 Prozent des Nationaleinkommens der Insel aus der Fischerei. Betrachtet man die Zusammensetzung des lebenswichtigen Exportes, dann stellt man fest, daß annähernd 85 Prozent der Exporteinkünfte auf den Rohstoff Fisch zurückzuführen sind.

Nun ist der Fischbestand in jenem Teil des Nordatlantik, der am 1. September isländisches Fischereigebiet werden soll, teils durch rücksichtslose Ausfischmethoden, teils aber auch durch die zunehmende Verschmutzung des Meeres bedroht. Es gibt unzweideutige Zeichen der Raubfischerei. Wird hier kein Einhalt geboten, dann sieht sich Island innerhalb weniger Jahre vor eine aussichtslose Situation gestellt. Dazu kommt noch, daß schon in zwei Jahren die Lachsfischerei im Nordatlantik — trotz wütender Proteste vor allem der dänischen Fischer, doch über harten amerikanischen Druck — eingestellt werden soll. Die Hinweise der dänischen Fischer, daß nicht ihre Lachsfischerei, sondern die Verschmutzung der amerikanischen Flüsse die Schuld an dem Fernbleiben des Lachses trägt, blieben ohne jede Wirkung. Nach isländischer Auffassung ist die Erweiterung der

Fischereizone unumgänglich notwendig geworden, wenn die Vernichtung vermieden werden soll.

Auch in Norwegen Problem

Aber auch die Küstengebiete Norwegens, Islands und des Öresund waren, so weit man zurückdenken kann, die Heimat von Generationen von Hochseefischern und in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg ein wahres Eldorado der Freizeitfischer.

1965 fing man in allen europäischen Gewässern insgesamt 100.000 Tonnen Makrelen, zwei Jahre später fischten die Norweger allein 867.000 Tonnen; 1965 schätzte man die Zahl der Makrelen in der Nordsee und den angrenzenden Meeresteilen auf 13 Milliarden Exemplare. Heute dürften es kaum mehr eine Milliarde Exemplare sein — mit Riesenschritten nähern sich diese Gewässer einem Zustand, da sie wenig mehr als ein totes Meer sein werden.

Die Abwässer, die chemischen Bekämpfungsmittel, die zunehmende Erwärmung und die Raubfischerei setzen ihre deutlichen Spuren; sie sind erkennbar in fallenden Fangerträgen, in der zusammenschrumpfenden Zahl der Berufsfischer, in den rasch ansteigenden Preisen für Heringe (früher das Brot und das Fleisch der Küstenbevölkerung — heute ein selten gewordener Leckerbissen!), und sie zeigen sich in den enttäuschten Mienen der Freizeitfischer, die Tag für Tag mit leeren Körben von den heißen Klippen am öresund heimkehren. Als Trost und Ersatz können sie sich dann in der nächsten Schnellbraterei ein gebratenes Hähnchen bestellen. Und in diesem finden sie dann jene Heringe und Makrelen wieder, die sie vergeblich gejagt haben, und die von den Fischmehlfabriken in rauhen Mengen zu Hähnchen- und Schweinefutter zermahlen worden sind — und weiter zermahlen werden, so lange sich eben der Fang nur mit den effektivsten Methoden lohnt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung