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Digital In Arbeit

Die Tonbandstimme

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Hier spreche ich. Sehr langsam, sehr deutlich, sehr höflich. Ich sage, daß ich leider nicht zu Hause bin, daß ich aber bestimmt wieder nach Hause kommen werde, daß ich mich über den Anruf ungemein freue, daß ich selbstverständlich gerne alle Wünsche erfülle, nur bedauerlicherweise nicht gleich jetzt, denn das sei nicht möglich, weil ich eben, wie bereits erwähnt, außer Haus bin, aber wenn sich der Anrufer freundlich gedulden wolle, werde er von mir hören, wie es beliebt noch heute abend oder morgen vormittag, im Büro oder daheim -und nun laufedas Band noch eine Minute, und der Anrufer möge sagen, was er von mir wolle, wer er sei und wo ich ihn erreichen könne.

Eine angenehme Einrichtung ist das. Ungeklärt ist, ob der telefoni-

sche Anrufbeantworter mehr Prestige verleiht als das Piepserl in der Brusttasche, welches allerorten signalisiert, wie wichtig und für die Mitwelt erreichbar sein Träger ist. Klar ist: Das Piepserl erzeugt Pflichten, der Anrufbeantworter verleiht Rechte. Rechte sind besser. Also bin ich für den Anrufbeantworter.

Juristisch gesprochen, beim Anrufbeantworter liegt die Beweislast beim Anrufer. Er hat sich zu deklarieren. Ich kann mir aussuchen, ob ich meine höflichen Verheißungen wahrmachen will. Lästige Gläubiger, ungemütliche Verabredungen, Erinnerungen an den längst fälligen Besuch bei langweiligen Personen können technisch gestört sein.

Man kann solche Anrufe auf Tonband totlaufen lassen. Der Anrufer wird immer lästiger, dringlicher, unhöflicher, er beschwört und beschimpft mich. Eine Minute. Dann fange ich von vorne an, gelassen, höflich. Der Geifernde mag rasend werden. Ich bleibe aalglatt wie ein Empfangs-Chef. Wenn ich nach Hause komme, kann ich mir die Komödien meiner Abwesenheit als Hörspiel anhören.

Das soziale Image der Anrufbeantworter ist so schlecht wie das aller Betriebselektronik. Es sind Arbeitsplatzvernichter, kein Zweifel. Sekretäre (bzw. -rinnen), Journalbeamte, Dienstmädchen werden überflüssig. Sie können mich jederzeit anrufen. Hausfrauen werden ausgehfreudiger.

Doch die Natur sorgt für Ausgleich. Einbrechern wird das Risiko erleichtert. Wenn ich mein Prestige steigere und allen zudringlichen Anrufern per Tonband erzähle, daß ich jetzt drei Wochen auf Urlaub auf den Bahamas bin, so besucht mich vielleicht ein Unbekannter schon vor meiner Heimkehr und hört sich zwischendurch an, wer mich sonst so angerufen hat.

Mit der Zeit, so ist das eben mit der Technik, läßt der Reiz der Neuheit nach, und ich stelle fest.

daß die meisten gespeicherten Anrufe so belanglos sind, daß ich gar nichts versäumt hätte, wenn sie nicht registriert worden wären. Am meisten aber verdrießt mich, daß sich, ermuntert durch meine anfängliche Begeisterung, längst auch die meisten meiner Bekannten einen Anrufbeantworter installieren ließen. Höchst ungern deponiere ich mein Stimmband am fernen Tonband. Man subjektiviert mich. Das ist unfair.

Erfinder ungeahnter intelligenter Produkte, der ich bin, fordere ich daher die eheste Produktion automatischer Anrufer. Ich meine nicht jene elektronischen Repetierer, die solange dieselbe Nummer wählen, bis sich da am anderen Ende der Leitung jemand meldet. Nein, ich meine ein völlig logisches Gegenstück zum Anrufbeantworter. Ich spreche meinen langsamen, deutlichen, höflichen Anruf auf Tonband, programmiere den Apparat, und mein Anruf-Roboter erzählt den angerufenen Anrufbeantwortern, was ich zu sagen habe. Worauf der automatische Anrufer umschaltet und den Text des automatischen Anrufbeantworters entgegennimmt.

Womit endlich erreicht ist, was sich viele Menschen erträumen, was ich aber zu realisieren wage, die kommunikationslose Kommunikation. Die Apparate telefonieren mit sich selbst, wir leihen ihnen nur unsere Stimme. Die Gebühren werden per Computer erfaßt und abgebucht. Das ganze Telefonierprogramm läßt sich per Computer speichern und steuern. Ich habe endlich mit dem Telefon nichts mehr zu tun, ich lasse telefonieren und habe meine Ruhe. ,

Das käme teuer, meinen Sie, verehrter Leser? Es kommt darauf an, was man dadurch einspart. Von Besuchen, Verkehrsmitteln und Arbeit bis zum Urlaub auf den Bahamas. Die Rechnung geht auf. Hier spricht der automatische Anrufbeantworter von Adam Tintinger…

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