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Dürer und sein Kreis

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Wie erwartet, begannen im Jubiläumsjahr 1971 etliche Schreibbeflissene nahezu unter Zwang einander die Frage zu stellen, welche Bedeutung denn der am 21. Mai 1471 geborene Albrecht Dürer für unsere Zeit noch oder nicht mehr haben könnte. Die naheliegende Frage, welche Bedeutung denn unsere Zeit für Albrecht Dürer gehabt haben könnte, unterblieb der wahrscheinlich katastrophalen Antwort wegen. Zeitabläufe und wechselnde Tendenzen konnten und können nämlich für ein (Euvre nicht von Belang sein, das bis in die Einzel heiten und bis in die Tiefen irgendeines kleinformatigen Blattes hinein nichts anderes kennt als ein gestaltetes „ewiges Jetzt“.

Daher auch das Unbehagen, das manche von uns Heutigen vor dem weitgeöffneten, fast erbarmungslos in sich hineinsaugenden Auge des gealterten Dürer anfaßt, wie es die von Johann Sadeler, Erhard Schön, Johan Wierix und einem Unbekannten geschaffenen Porträts zeigen. Wer vermöchte vor einem Auge zu bestehen, das Gegenstände und Menschen derart durchdrang, sie sich aneignete, um ihre Oberfläche ins Unvergängliche, vor allem aber diese im schwarzweißen graphischen Werk silbrig, samten, ja scheinbar sogar farbig schimmernde Oberfläche in Seele zu verwandeln … ?

Das große, unbestechliche Auge Dürers beherrscht den Beginn der diesjährigen Göttweiger Graphikausstellung, die, wie stets, von P. Emmeram Ritter OSB vorbildlich und diskret gestaltet, aus den unerschöpflichen Beständen des Stiftes diesmal Dürer-Blätter erster Ordnung darbietet, darunter die Apokalypse, die Kleine Kupferstich- Passion, die Große Passion, die Kleine Holzschnitt-Passion und das Marienleben. Es fehlen nicht das „Männerbad“, der Triumphwagen Kaiser Maximilians, Hieronymus und das „Schweißtuch mit den Engeln“.

Ergänzt wird der Dürersche Kosmos durch Beispiele aus der Hand von Dürers Lehrer Michael Wolge- mut, aus den Händen seiner Zeitgenossen Schongauer, Lucas Cranach des Älteren, seiner Nachfolger Hans Baidung Grien, Georg Pencz, Hans Schäufelein, Sebald Beham (um nur die am besten Vertretenen zu nennen), von niederländischer Graphik aus der Zeit Dürers, die Dürers mächtigen Einfluß ins bürgerlich Kaufmännische und unverkennbar Solide abwandelt, schließlich auch von italienischen Zeitgenossen Dürers, in deren kühler, sich affektlos darstellender Renaissance-Gelassenheit nur wenige technische Einzelheiten des großen, aus Ungarn zugewanderten Deutschen, nicht aber die spannungsgeladene Bewegtheit des Maximilians- und Reformationszeitalters mitklingen. Schwierig wäre es, dort noch Dürers oft kaum enträtselbare Symbolwelt wiederzufinden, den traditionellen Aufbau seiner Blätter, die fast immer rechts oben (im Druck also links oben) ihre Ecke des Guten und Göttlichen, links unten (im Druck rechts unten) die Ecke des Bösen und Höllischen, zumindest des Menschlich-Fragwürdigen erkennen lassen.

Ein spätes Porträt Dürers, von der Hand des Holzschneiders Andrea Andreani, entläßt. den Besucher wieder, hinaus ln den weiten Hof des grbßzügig geplanten. titrWTlendht gebliebenen Stifts, hinaus in die Stille. Dürer auf Göttweig will gesucht, gefunden, in Ruhe heimgebracht und bewahrt werden.

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