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Ist das Rtsel in Drers Apokalypse gelst?

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Das Rätsel in Dürers Gottesschau. Die Holzschnittapokalypse nnd Nikolaus von Cues. Von Franz Juraschek. Mit 122 Abbildungen. Verlag Otto Müller, Salzburg. 135 Seiten. 12 Blatt Abbildungen, 1 Tafel gefaltet. 4“. Preis 190 S

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Das Rätsel in Dürers Gottesschau. Die Holzschnittapokalypse nnd Nikolaus von Cues. Von Franz Juraschek. Mit 122 Abbildungen. Verlag Otto Müller, Salzburg. 135 Seiten. 12 Blatt Abbildungen, 1 Tafel gefaltet. 4“. Preis 190 S

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Die Apokalypse, die Geheime Offenbarung des heiligen Johannes, das einzige prophetische Buch des Neuen Testamentes, ist eine übergeschichtliche Darstellung der Schicksale des Gottesreiches, die „große Liturgie der Weltgeschichte“ (P. Ketter). Wegen ihrer Vieldeutigkeit hat die Apokalypse wie kaum ein zweites Buch der Weltliteratur eine fast unübersehbare Zahl von oft entgegengesetzten Auslegungen gefunden, denen sich bildliche Darstellungen von recht eigenartiger Prägung anschlössen. Von diesem reichen, in auf- und niedersteigenden Bildern sich darbietenden Inhalt hat das altchristliche Denken und ihm folgend auch die altchristliche Kunst bald Gebrauch gemacht und der Zukunft Wege gewiesen, die insbesondere auch die deutsche Kunst des Mittelalters und der Neuzeit nicht verlassen hat. Das eigentliche Feld der künstlerischen Behandlung der Apokalypse ist aber im Mittelalter die Buchmalerei und der ihr entwachsene Holzschnitt, in dem uns „in der künstlerisch so großen Zeit des frühen 16. Jahrhunderts keiner, auch kein Italiener, einen so edlen Begriff von) Bilde vermittelt hat wie Albrecht Dürer“ nach seiner Rückkehr aus Venedig. „Denn die fünfzehn Bilder, in denen er die Offenbarung dargestellt hat, sind von einer Originalität, der gegenüber alles in der Fremde

Erlernte in den Hintergrund trat und mit einem Schlage nicht nur ihn zu einer führenden Stellung unter den deutschen Künstlern seiner Zeit, sondern auch die deutsche Kunst selbst im Rahmen der Kunstbestrebungen der europäischen Völker zu einer neuen Bedeutung erhoben hat“ (M. Dvofäk).

Die Forschung hat bisher versucht, Dürers Apokalypse in der Reihe der Kommentare und in der Bildtradition zu virankern. Dabei war es eine Selbstverständlichkeit, die Form an die Bildtradition und die Erzählung an die Kommentare anknüpfen zu wollen. Ja, die früheren Biographen glaubten, auf die Tatsache gestützt, daß Dürer die Apokalypse im Eigenverlag vertrieb, alles seiner persönlichsten Initiative zuschreiben zu müssen, so Waetzold, dessen Meinung bis heute noch als unanfechtbar galt: „Niemand hat sie ihm in Auftrag gegeben. Wie der Gedanke Dürer allein gehörte, so wurde auch die Form ganz sein eigen“; ähnlich auch Panofsky. Es war wahrhaftig keine leichte Aufgabe, der sich der Verfasser, ein Schüler des am 8. Februar 1921 verstorbenen Max Dvofäk, dessem Gedenken dieses Werk gewidmet ist, unterzogen hat. Habent sua fata libelli, gilt auch von Jurascheks Werk. Es sei nur unter anderem erwähnt, daß die erste Fassung von 64 Seiten der Drucker 1938 als unzeitgemäß samt Klischees kurz vor dem Ausdruck einschmelzen ließ, die erweiterte Fassung sogar zu „staatspolitischer Ueberprüfung“ 1945 auf Nimmerwiedersehen über den Ozean wanderte, als der Rat eines Schweizer Verlegers zuungunsten der Dürer-Blätter 1947 den Text der Offenbarung in den Vordergrund rückte. Nun liegt, dank der großzügigen Unterstützung des Unterrichtsministeriums und des Verlages, die fünfte Fassung, die 1952 bis 1954 niedergeschrieben wurde, vor.

Wie ein Archäologe, der selbst Hand an den Spaten legt, Schicht um Schicht behutsam bloßlegt, um das zu finden, was er beharrlich sucht, so arbeitete Juraschek Jahrzehnte, um das Urprogramm aufzudecken. Weite Studienreisen nach Rom (Photoarchiv in San Girolamo), Padua—Venezia, Maria-Laach (Fachphotoarchiv P. Frowin Oslender), Frankreich und Spanien machten die erste Phase der geistigen Ausgrabe aus. Dann aber setzte die Hauptarbeit ein, die vor allem in der Wegräumung dessen bestand, was die „Sicht auf die tieferen Grundlagen des Werkes verstellte“. Nur in solcher Arbeitshypothese konnte der Exeget entdeckt werden; „denn der Exeget, der das Urprogramm erfand, hat auch das Programm für Dürer entworfen“.

Dürers Gottesschau ist die geniale Wiedergabe eines beziehungsreichen, weitmaschigen und weitgreifenden Programms eines humanistischen E*e-geten, der sich vor allem auf die Kosmologie eines unserer größten Denker im ausgehenden Mittelalter, auf Nikolaus von Cues, stützt. Unmittelbar wird des Kardinals Hauptwerk „De docta Ignorantia“ sowie seine großartige Vaterunserpredigt an Dürers Apokalypse mitgestaltend und sichtbar. Aber nicht nur das wird uns durch die scharfsinnige Analyse Jurascheks aufgezeigt, wir verfolgen an Hand des Textes eine reiche Auswahl seltener Abbildungen, die wie die Kommentare auf ein Halbjahrtausend vor Dürer zurückgreifen. Es entrollt sich vor unserem Auge eine tausendjährige Geistesentwicklung, die das zentrale Problem des Frühchristentums, des frühen und späten Mittelalters zur Schau bringt. Wer war nun der Exeget, der in ständigem Verkehr mit Dürer stand, um so auf jede Einzelheit Einfluß zu nehmen? War es der Humanist aus dem Franziskanerorden, Dr. Johannes Pirkheimer, der sowohl Dürer als auch Nikolaus Cusanus nahestand? Wenngleich die Frage nach dem Namen des Exe-geten ungelöst bleibt, so hat Juraschek tiefschürfend das Programm entdeckt, das da lautet: „Was die Mosaiken der frühen Basiliken, was die Kathedralen als das Gesamtkunstwerk der Gotik vor den Beschauer hinzustellen versuchen, dem will der Denker in Dürers Zeit in einem monumentalen Holzschnittwerk die Kathedrale des Geistes an die Seite stellen“ (S. 88). Die Kunstwissenschaft wird dem Verfasser großen Dank wissen, nicht zuletzt dem Verlag, der an Ausstattung und Druck mit dem reichen Bilderteil nichts zu wünschen übrig ließ.

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