7110824-1995_48_77.jpg
Digital In Arbeit

Apokalypse in des Menschen Hand

19451960198020002020

„Apokalypse-Gestern, heute morgen” betitelte Friedrich Heer seinen zwischen 1981 und 1983 entstandenen, bisher unveröffentlichten Text.

19451960198020002020

„Apokalypse-Gestern, heute morgen” betitelte Friedrich Heer seinen zwischen 1981 und 1983 entstandenen, bisher unveröffentlichten Text.

Werbung
Werbung
Werbung

Wir leben in End-Zeiten: Endzeit einer Zivilisation des weißen Mannes, Endzeiten der alten Zivilisationen in anderen Kontinenten, die überrollt werden von dem Schutt, von den Gaben und Giften, die ihnen die Zivilisation des weißen Mannes gebracht hat: Medikamente und Waren und Waffen.

Wir leben in Endzeiten von Ideologien, linearen Systemen, von brutalen Ein-Bahn-Techniken, die „unsere liebe Mutter Erde”, wie Arnold Toyn-bee in seinem testamentarischen Werk klagt, unter der Hand brutaler Menschen schänden. Umwelt und Innenwelt des Menschen, also Erde, Wasser, Luft, Tiere und Menschen werden verseucht, vergiftet, zumindest schwer beschädigt.

Der Klagen, der Anklagen sind viele. Ökologen, Umweltschützerund alte erfahrene Warner, so ein Konrad Lorenz, kämpfen gegen die Baffer an: Wobei diese von den Gaffern umstanden werden, die interessiert kleine und größere Katastrophen, Erdbeben und Unfälle beschauen und herbeieilen, wie noch vor knapp hundert Jahren öffentliche Hinrichtungen ein Schauspiel waren, zu dem die Damen und Herren der guten Gesellschaft und das Volk kamen, in Kaleschen, zu Pferd, zu Fuß.

In dieser Situation breiten sich apokalyptische Ängste aus, regiert gleichzeitig eine „Apokalypseblindheit”, wie sie bereits 1956 der große, einsame, in Wien lebende Denker Günther Anders vorzüglich als Beflex seiner Erfahrungen als Flüchtling in Amerika im ersten Band seines Werkes „Die Antiquiertheit des Menschen - Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Bevolution” ansprach.

Anders: „Terror auf Taubenfüssen: durch Besetzung aller Kräfte unserer Sinne, des Verstandes, der Seelen, die durch die Konsumzivilisation ertränkt werden.” „Verkommen aller moralen Phantasie und jeder Plastizität des Gefühls.” Und: „Wir werfen weiter, als wir Kurzsichtige sehen können.”

Wir sind nicht mehr Handelnde, sondern Mit-Tuende. Das Telos, das Ziel unseres Tuns, ist abmontiert. Daher leben wir ohne Zukunft: daher oh -ne Verständnis von Zukunfts-Ende. Daher apokalypseblind.

Gleichzeitig machen Sekten und Bestseller-Autoren ein Geschäft mit dem Schrecken, mit der Angst vor einem Weltuntergang, der genau auf Jahr und Tag berechnet wird. Auf der Welle dieser apokalyptischen Naherwartungen schwimmt etwa auch das Buch von Berlitz, der das Jahr 2000 anvisiert und sich auf eine Kette von „Prophezeiungen” der Vergangenheit und auf die Endzeitangst des Jahres 1000 n. Chr. beruft.

Nun, das ist eine Vorstellung von Historikern der Romantik. Es gab, wie Forscher der Gegenwart wie Hu-by und Hugenboltz aufgezeigt haben, im Jahr 1000 nicht diese vielberufene Weltuntergangsangst - damals bestanden in der europäischen Christenheit verschiedene Systeme der Zeitrechnung. Das tausendste Jahr nach Christi Geburt fiel in die Jahre zwischen 979 und 1033.

Wohl aber gab es dies: Tiefe Unruhe im Volk, bei den Bauern, bei den Elenden, nicht zuletzt in der Frauenwelt. Alteuropa wird im volkhaften Untergrund von apokalyptischen Ängsten durchbebt, immer wieder erschütten, bis diese sich im 19. und 20. Jahrhundert in großen Explosionen äußern: in der „roten Apokalypse” und in der „braunen Apokalypse”.

Es ist Zeit, an die johanneische Apokalypse zu erinnern, die auf diesen Untergrund immer wieder als Sprengstoff eingewirkt hat. Diese johanneische Apokalypse - wir wissen nicht, wer aller sich hinter dem Namen „Johannes” birgt, verbirgt - erhebt sich aus einer Fülle apokalyptischer Schriften, die die beiden Jahrhunderte vor Jesus überschwemmen und nach seinem Tod für viele Christus-Gläubige eine unersetzliche Tröstung bilden: eben in der Johannes-Apokalypse und in der Petrus-Apokalypse.

Voll Entsetzen sieht C. G. Jung auf die johanneische Apokalypse: Das Lamm ist für ihn ein Ungeheuer, wird zum streitsüchtigen Widder. Jung: „Ich sehe darin weniger ein metaphysisches Gleichnis als zunächst einmal den Ausbruch längst aufgestauter negativer Gefühle, die man bei Voll-kommen-sein-Wollenden häufig beobachtet.”

Apokalypseblindheit der Kirche

„Eine wahre Orgie von Haß, Zorn, Rache und blinder Zerstörungswut, die sich an phantastischen Schreckgebilden nicht genugtun kann, bricht aus und überschwemmt mit Blut und Feuer eine Welt, die man eben noch zu dem ursprünglichen Status der Unschuld und Liebesgemeinschaft mit Gott zu erlösen sich bemüht hat.” Christus ist ganz zum schrecklichen Rächer geworden.

Jung: „Ich habe viele kompensierende Träume gläubiger Christen gesehen, die sich über ihre wirkliche seelische Beschaffenheit täuschten und sich in einer anderen Verfassung wähnten, als es der Wirklichkeit entsprach. Aber ich habe nichts gesehen, das auch nur im entferntesten mit der brutalen Gegensätzlichkeit der jo-hanneischen Offenbarung verglichen werden kann, es sei denn, daß es sich um eine schwere Psychose handelt.”

Nun: Diese johanneische Apokalypse ist für die siegreiche römische Großkirche in eineinhalb Jahrtausenden eine umschwiegene Verlegenheit. Das triumphalistische Born der Päpste, die sich als einzige Erben der Caesaren verstehen, dieses imperatorische Bom, das sich selbst als „das neue Jerusalem” (so noch Eugenio Pacelli, 12. November 1934) versteht, und das selbst von Christus die Schlüssel des Himmelreiches erhalten hat, scheidet die Apokalypse aus.

Die Welt der romanischen, der gotischen Dome, der Kirchen der Be-naissance, der barocken Stifte -Österreich als ein „Klösterreich” -der Kirchen des 19. und 20. Jahrhunderts, hat nichts mit dieser Apokalypse zu tun. Die große europäische Theologie scheidet sie aus. Eine Apokalypse-Blindheit eigener Art regiert, als ein stiller Begent, im Kirchenwesen der Großkirchen.

Eine Apokalypse erlebt Pedro Ar-rupe, der dann, als zweiter Baske, General der Gesellschaft Jesu wird -eben ausgeschieden, nach langjährigen Auseinandersetzungen mit dem gegenwärtigen Papst, schwer von Krankheit geschlagen. Dieser Mann erlebte die Atombombe in Nagasaki, dem Zentrum des japanischen Katholizismus. Er ist der einzige „Prominente” im Heute, der diese Apokalypse erlebt hat: Der Mensch nimmt die Apokalypse selbst in seine Hand, wird damit sich selbst zu einem End-Gericht.

Nun dies: im volkhaften Untergrund vertretene ekstatische Propheten, ergriffene Frauen, religiös-politische Volksprediger zunächst vom zwölften zum 16. Jahrhundert apokalyptische Ängste und Hoffnungen: Diese böse Welt muß zugrunde gehen, dann erst kann ein neuer Himmel, eine neue Erde das Tausendjährige Beich des Großen Friedens, der Gerechtigkeit, des Menschen schaffen.

Das zwanzigste Kapitel der Apokalypse wird zur Magna Charta des Chi-liasmus: Hier wird das tausendjährige Beich Christi vor dem Ende der Welt verkündet. Haß gegen Bom, gegen das Römische Beich durchflutet als dunkles Blutmeer diese Apokalypse.

Im Heute zeigen Forscher auf, daß dies ein Einschub in die johanneische Apokalypse sei, später eingefügt: Eineinhalb Jahrtausende wirkte jedoch dieser Einschub ge-schichtsmächtig auf die religiös-politischen Bewegungen, die sich auf Johannes stützen.

Thomas Müntzer, von Ernst Bloch nach dem Ersten Weltkrieg für die Linke wiederentdeckt, heute in der Deutschen Demokratischen Bepublik als ein Ahnherr der Bevolution herausgestellt, las immer wieder diese Apokalypse.

Diese außerordentlich starke Persönlichkeit, enthauptet am 27. Mai 1525, inmitten der mörderischen Liquidierungen des Bauernkrieges, will das Beich Gottes erkämpfen durch Niederkämpfung der Gottlosen, als da sind die verkommenen Pfaffen „aller christlichen Sekten”, wobei er Bom und Luthers Wittenberg zusammensieht. Müntzer: „Die Engel der Apokalypse, welche ihre Sicheln schärfen, sind die ernsten Knechte Gottes, die den Willen göttlicher Weisheit vollführen ... Denn die Gottlosen haben kein Becht zu leben, allein was ihnen die Auserwählten wollen gönnen ...”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung