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Apokalypse in des Menschen Hand

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Apokalypse 1533 und 1933: Täufer gründen in Münster das Reich Gottes. Dieses Jahr 1533 wurde weithin als das fünfzehnhundertste Todesjahr Christi angesehen: ein Jahr der Endzeit also. Jan Bockels-on, Johann vonLeiden - bis heute ist er unvergessen im Münsterland - will das Endreich des Friedens in einer Liebesgemeinschaft verkörpern. Terror als sakraler Schrecken soll die Gläubigen in ihrem Glauben stärken, die Ungläubigen schrecken, die Abtrünnigen töten. Nach langer Belagerung fällt das Beich Gottes in Münster am 24. Juni 1535. Ein Blutbad beendet dieses apokalyptische Beich.

1933 schildert der Ostpreuße Friedrich von Beck-Malleczewen in seinem Widertäuferroman Hitlers bevorstehenden Untergang. Er kommt daraufhin ins Konzentrationslager, schildert die höllische Apokalypse hier in seinem hinterlassenen „Tagebuch eines Verzweifelten”.

1933 visiert in Wien Franz Theodor Csokor in seinem Boman „Der tausendjährige Traum”, vom Beich Gottes in Münster auf das Beich Hitlers warnend sehend, denselben Bezug an. Csokor, vielverkannt noch heute, spricht 1955 in seinem Boman „Der Schlüssel zum Abgrund” dieselbe Verbindung an - er kommt in seinen Briefen („Zeugen einer Zeit, Briefe aus dem Exil”, 1964) immer wieder auf den inneren Zusammenhang der deutschen apokalyptischen Schwärmerbewegung mit Hitlers Bewegung zu sprechen.

Im Geburtsjahr Hitlers 1889 stirbt sein Großonkel Bobert Hamerling, der Heros der deutsch-nationalen Bewegung, ihr Dichter. In seinem Epos „Jan van Leyden” sieht er - sehr merkwürdig - den Aufgang und Untergang seines Großneffen Adolf Hitler im täuferischen Reich in Münster voraus: totale propagandistische, militärische, wirtschaftliche Mobilmachung, religiös-politischer Enthusiasmus, verzweifelter Widerstand gegen eine nahezu europäische Koalition.

Hitler lebt in apokalyptischen Endzeit-Visionen. Die „Endlösung der Judenfrage” allein kann den Sieg des apokalyptischen Drachens verhindern. „Werden unser Volk und unser Staat das Opfer dieser blut- und geldgierigen jüdischen Völkertyrannen, so sinkt die ganze Erde in die Umstrickung dieses Polypen; befreit sich Deutschland aus dieser Umklammerung, so darf diese größte Völkergefahr als für die gesamte Welt gebrochen gelten.”

„Somit geht er (der Jude) seinen verhängnisvollen Weg weiter, so lange, bis ihm eine andere Kraft entgegentritt und in gewaltigem Ringen den Himmelsstürmer wieder zum Lu -zifer zurückwirft.” (So bereits in „Mein Kampf”.)

Rote Apokalypse: Voll Entsetzen sehen Konservative, Katholiken, auf die Apokalypse, wie sie sich da nach der russischen Oktoberrevolution entfaltet. Wahlplakate, Kirchenzeitungen, Predigten schildern von Wien bis Madrid den roten Teufelsdrachen, diesen entfesselten Satan, der die Kirchen zerstört, die Frommen tötet, sie in Blutmeeren ertränkt. Im spanischen Bürgerkrieg wird diese Schau in der gesamten katholischen Welt, von Bom bis Südamerika und im ganzen katholischen Europa, erneuert.

Übersehen wird da: Diese rote Apokalypse wächst aus dem russischen religiös-politischen Untergrund heraus, aus den Verfolgungen der Nonkon-formisten, vor allem der Baskolniki, durch Zar und Zaren-Kirche. Der Bericht des Erzmärtyrers, des Protopo-pen Awakum, wird von allen jungen russischen Bevolutionären im 19. und frühen 20. Jahrhundert ergriffen gelesen.

Der große, vielverkannte Friedrich Wilhelm Foerster, Pädagoge, Pazifist, Warner vor zwei Weltkriegen und vor einem dritten, von Kaiser Karl als Minister ausersehen, erinnert („Erlebte Weltgeschichte von 1869 bis 1953”) an ein Gespräch mit Lenin in Zürich: „Er fragte mich einmal: ,Kennen Sie Tolstois Auferstehung', und antwortete sogleich: ,Wir sind die Auferstehung der Erschlagenen, der Vergewaltigten, der Verbannten.' Dann versank er wieder in dunkles Schwei-gen.”

Apokalypse heute und morgen. Endzeitliches Denken ist in Österreich, wenn wir hier unseren Untergrund ausklammern, nicht beliebt, es paßt, so scheint es, so gar nicht in unser Klima einer recht saturierten Kleinbürgergesellschaft Ein Denker wie August Zechmeister (Wien, 1907-1953), der 1937 (wer sah doch damals die Zeichen an der Wand?) in der Schweiz sein Buch „Der Christ in der Endzeit” doch noch herausbringen konnte und nach 1945 für eine Versöhnung zwischen Kirche und Sozialismus arbeitete - ein Vor-Denker, allein, allein, allein („Endzeitlicher Glaube, Schriften für christliche Verwirklichung”) erinnerte: „Wie am Anfang der Kirche bilden die Christen heute wieder eine Minderheit, und es ist ihnen nicht leichtgemacht, das Vertrauen zu sich selbst zu erhalten.”

Zechmeister wird 1981 durch Norbert Leser in seinem Buch „Grenzgänger - Österreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen” erinnert. 1981 kam in Wien von dem Dichter Ernst Vasovec, der bereits in „Sodom und Gomorrha” das alte So-dom der Bibel, Wien als Sodom in den Jahren vor und im Hitler-Reich in großartigen Visionen geschildert hatte, der Roman „Vom Ende der Welt” ans Licht unserer Tage: Letzte Menschen, auch letzte Christen, verwesend, auf einer vereisten Insel.

Ununterbrochen arbeiten Millionen Menschen im Dienste apokalyptischer Vernichtungsschläge, die verharmlost werden, da das alte Wort Krieg auf etwas ganz Neues, auf den Overkill, ein Ubertöten, bezogen wird. Apokalypseblindheit regiert, die meisten Menschen sind noch nicht aus dem Banne einer Mentalität vor 1914 gelöst. „Kriege wird es immer geben ”: Dies Wort verschleiert, was in der Luft liegt: Apokalypse, ungeheure Welt-, Menschen-, Natur-Zertrümmerung, hier, morgen.

Die alte johanneische Apokalypse hat sozusagen „ausgedient”, ihre Schreckensvisionen werden durch heutige Wirklichkeit übertroffen: In unserer Welt, in der täglich gefoltert, Kind und Frau und Mann geschunden, geschändet werden. Was soll da die alte Apokalypse?

Dies ist zu sehen und zu praktizieren. Apokalypse: Wer darf es wagen, dieses ungeheure Wort in den Mund zu nehmen, der sich nicht, soweit es in seinen Kräften steht, bemüht, gegen diese Endlösung anzukämpfen, in der Menschen das Letzte Gericht in ihre Hand nehmen?

Diesen guten Kampf kämpfen kann aber nur ein Mensch, der etwas vom Salz, vom brennenden Salz der Apokalypse auf der Zunge spürt. Ohne dieses Salz, wenn es schal wird, wird der Mensch blind.

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