Die große Albrecht-Dürer-Ausstellung in der Wiener Albertina zeigt die zukunftsweisende Bedeutung des Grafikers und Malers am Beginn der Neuzeit.
Was kann man erwarten, wenn zwei Stars aufeinandertreffen? Manchmal kämpfen dann zwei Platzhirsche um die Vorherrschaft über die Sonnenstrahlen auf der Lichtung der Berühmtheit. Manchmal ergänzen sie sich aber, manchmal stimmen sie einen wunderbaren Zusammenklang an, zur Freude des Publikums. So geschehen unlängst mitten in Wien. Die Albertina, der Star unter den grafischen Sammlungen, präsentiert einen ihrer größten Stars, Albrecht Dürer.
In einem gelungenen Querschnitt durch das Gesamtwerk taucht man in die Welt dieser schillernden Künstlerpersönlichkeit am Beginn unseres modernen Zeitalters ein. Die Hängung, teils chronologisch, teils thematisch geordnet, mit einigen interessanten Gegenüberstellungen beziehungsweise Zusammenführungen von Studie und ausgeführtem Gemälde, führt die Besucher zu den vielen Anknüpfungspunkten, anhand deren man die herausragende Stellung von Albrecht Dürer erkennen kann.
Selbstporträt des Kindes
So beginnt man gleich mit einem entscheidenden Aspekt, der Blick auf das Selbstporträt des Dreizehnjährigen zeigt, dass sich bei ihm einiges an Talent versammelt hat. Obwohl es noch kein Meisterwerk ist, weist sich Dürer selbst mit einer Handbewegung schon den Weg in Richtung Künstlertum. Gleichzeitig setzt er sich bereits mit der Beschriftung - "Dz hab ich aws eim spigell nach mir selbs kunterfet Im 1484 Jar do ich noch ein kint was" - ein Denkmal, denn bereits die unmittelbare Nachwelt paraphrasiert, kopiert und fasst diese Arbeit in Medaillons.
So lässt ihn denn der Vater auch die Goldschmiedelehre abbrechen und bei Michael Wohlgemut das Handwerk des Malers und Grafikers erlernen. Nach der Lehre, die er 1489 beendet, holt er sich auf Reisen zu Städten am Oberrhein und nach Italien wichtige Anregungen. Und ganz nebenbei dokumentiert er Reiseeindrücke in Aquarellen, die einerseits einen Vorgeschmack auf seine späteren Meisterstücke in dieser Technik geben, andererseits Einblicke in die damalige Topografie, insbesondere jene von Innsbruck, gewähren. Dürer überliefert uns ganz spezifische Stimmungen, die er erlebt hat und zeigt bereits seine Vorliebe für das komprimierte, heute würde man sagen surreale Beieinander eigentlich gegensätzlicher Elemente, wie etwa einem Mauerrest und einem menschlichen Gesicht.
Humanismus und Religion
Wieder in Nürnberg zurück verdient er seinen Lebensunterhalt zunächst mit Kupferstichen und Einblattholzschnitten - auf diesem Gebiet ist er hier konkurrenzlos, seine Holzschnittserie zur Apokalypse beschert ihm später auch internationales Ansehen. Als Maler ist er auftragslos, es entstehen einige scheinbar zweckfreie Aquarellstudien, in denen Dürer die besondere Atmosphäre, Licht, Luft und den Wechsel der Jahreszeiten aufs Papier bannen will. Mit Blättern wie dem "Weiher im Walde" oder der "Weidenmühle" setzt er auf dem Gebiet der Landschaftsmalerei neue Maßstäbe. Allerdings entspringt das Interesse Dürers für die Landschaft nicht ausschließlich seinem eigenen Verlangen, viel verdankt er hier dem Nürnberger Humanisten Conrad Celtis, der ihn in intensivem Austausch auch prinzipiell mit den Vorstellungen des Humanismus vertraut machte. Auf einer Hollandreise traf er mit Erasmus von Rotterdam zusammen und porträtierte ihn.
Aber nicht nur der Humanismus beeinflusste den Maler, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben ist ebenso hoch anzusetzen. Zwar gibt es in der mehrmaligen Auseinandersetzung mit der Person des heiligen Hieronymus eine Verschränkung beider Bereiche, umgekehrt sind Jesus und Maria von Dürers zentralem Interesse.
Selbstporträt und Christus
Auffallend sind dabei die Ähnlichkeiten, die Dürer zwischen sich und seinen Christusfiguren herstellt. In seinem 1500 entstandenen Selbstporträt in Christusgestalt blickt der Künstler ikonenartig frontal auf die Betrachter, der göttliche Ursprung der Malerei wird bekräftigt und damit auch die Verantwortung des Künstlers. Vielleicht nimmt Dürer in dieser Weltuntergangsstimmung des damaligen Jahrhundertwechsels auch schon die These Dostojewskis vorweg, dass die Schönheit die Welt retten wird. Ähnlich wie viel später bei James Ensor entdeckt man die physiognomische Abhängigkeit des "Christus als Schmerzensmann" mit einem Selbstbildnis, auch wenn hier der leicht blasphemische Unterton aus der Zeit nach dem "Tod Gottes" völlig fehlt. Bei Dürer steht wesentlich die neu aufbrechende Frage nach dem Subjekt im Mittelpunkt, wie der Blick auf sein "Selbstbildnis als Akt" deutlich macht. Das intime Blatt zeigt den Künstler in zwar wacher, aber völlig unentschiedener Selbstreflexion, und dies bei unverstellter Nacktheit.
Der nackte Mensch
Diese Nacktheit fragt aber nicht nur im religiösen Kontext, wie dies die Blätter mit Adam und Eva nahe legen; ebenso wichtig ist das wissenschaftliche Interesse, das Dürer zu seinem bildnerischen Nachdenken anregt. Eindrucksvoll lässt sich dies anhand der Naturstudien "Feldhase", dem "Großen Rasenstück" und den "Blaurackenstudien" nachvollziehen. Der Hase ist nicht in irgendeine mythologische Erzählung oder Jagdszene eingebunden, es geht ausschließlich um ihn als Hasen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Blauracken und dem Rasenstück. Wie zukunftsweisend und modern Dürer gedacht und gemalt hat, sieht man nicht nur an diesen Beispielen.
Ein derartiges Spiel mit Händen, wie Dürer es auf seinem "Christus unter den Schriftgelehrten" vorführt, wird man erst Jahrhunderte später bei einem Egon Schiele wieder zu sehen bekommen. Und die Rückseite eines heiligen Hieronymus und des leidenden Christus zeigen Farbstudien, bei denen man das Sujet zwar noch erahnen kann, die aber einen derartigen Abstraktionsgrad aufweisen, dass sie damals eben noch auf der verdeckten Seite bleiben mussten.
Albrecht Dürer
Albertina
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
bis 30. 11., täglich 10-18, Mi bis 21 Uhr
Katalog: Albrecht Dürer, hg. von Klaus Albrecht Schröder, Maria Luise Sternath, Ostfildern-Ruit 2003, 575 S., e 29,-
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