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Wenn der Wildesel brüllt

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„Sobald der Teufel erkennt, daß das Volk der Heiden, das da irrt im Dunkeln, bekehrt ist zum makellosen Licht, da brüllt er Tag und Nacht heischend den Fraß, der ihm verloren ist l.“

Tierfabel, Mystik und älteste Naturphilosophie füllen die im Laufe von Jahrtausenden gesammelten Naturbeobachtungen mit theologischem Gedankengut, erheben sie zu einer Art höheier Wahrheit und sättigen sich bis tu bildhaft starken Vorstellungen, wie jener vom Teufel, der brüllt wie ein Wildesel, da er auf Nahrungssuche umherirrt.

Vom Wildesel weiß die Tierfabel zu berichten, daß er zwölfmal des Nachts und zwölfmal des Tages brüllt am 25. Mär*, um so die Tag- und Nachtgleiche anzukündigen und das Aufkommen des steigenden Lichts.

„Wenn der Teufel merkt, daß sein Volk dahinschwindet, wie die Stunden der Nacht schwinden im März, dann fängt er an zu schreien, heftig zu klagen, wie es die Wildesel tun im März V

So verketten sich im Gleichnis vom Wildesel das Frühlingsmysterium mit jenem von der Heidenbekehrung, das Fest der Verkündigung an Maria (25. März) mit dim Erscheinen der Kirche (Apokalypse, Kapitel XII, 1—2), sie verketten sich, aber in einer merkwürdigen und schwebenden Art.

Der Esel brüllt und kündet damit den Eintritt der Tag- und Nachtgleiche; er brüllt, da er zornig umherirrt aus Futtermaogel. Es ist, als wäre beides ein und dasselbe und doch einander weltenfern, ein kosmisches Gesetz gegenüber einem irdischen Geschehen.

Aus jener Sphäre uralter Tiersymbolik des Vorderen Orients erwachsen, die — unseren Bauernregeln vergleichbar — Bilder des Jahreskreislaufes verdeutlicht, wird das Wildeselsymbol der mittelalterlichen Theologie gerade um seines mehrdeutigen Schwebesinnes wertvoll, verliert mehr und mehr seinen den Frühling ankündigenden Ursinn und wird geradezu apokalyptisch.

Dort, im XII. Kapitel der Apokalypse, verfließt die Deutung des Sonnenweibes ähnlich schwebend; als Volk Israel und Maria eingeführt, wird sie dann zur Kirche, die der Satan, der rote Drache, verfolgt, der fm Zorne über ihre Entrückung aus einem Maule einen Strom ausspeit, daß der Strom sie verschlinge. Liegt die Verwandtschaft der Bildgedanken: Teufel — Maria — Kirche — Zorn, im Augenblick ihres Erscheinens in beiden Gedankenreihen nicht geradezu auf der Hand?

Ich habe bei der Durchsicht der umfangreichen Kommentarliteratur zur Apokalypse dennoch nirgends beim roten Drachen den Hinweis auf den Wildesel gefunden, so zahlreich sonst die Tiersymbolik und gerade der Physiologus in diesen Schriften herangezogen wird.

Nur ein einziger hat die Anschaulichkeit des Eselssymboles zur Darstellung des Teufelzornes genau erkannt: Albrecht Dürer.

Wir wollen es nicht wahr haben, daß ein Maler auch selbständiger Kommentator und Gedankengestalter sein soll. Wir waren gewohnt, die Bilder fast nur als ein Ringen um formale Probleme zu betrachten. Dürers Werk aber — und gerade das Jugendwerk — erweist seinen Schöpfer vor allem als Dichter und Denker.

Betrachten wir (siehe das Bild „Warte“, Seite 1) seinen Holzschnitt mit dem Sonnenweib. Wie wortgetreu folgt er dem Text der Schrift, ohne auch nur eines auszulassen!

Physiologus, cd. G. Heider, Wien 1851. S. 24. * Bestiarius'des Philip de Thaun, in Thomas yright, Populär treatises, London 1841, S. 107.

„Am Himmel erschien ein großes Zeichen: ein Weib mit der Sonne umkleidet, der Mond unter ihren Füßen, auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Und ein anderes Zeichen erschien am Himmel: siehe, ein großer, feuerroter Drachen; der hatte sieben Köpfe und zehn Hörner, und auf seinen Köpfen sieben Diademe. Sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels weg und warf sie auf die Erde.“

Wahrhaft, auch nicht die kleinste Einzel-, heit in 'dieser Schilderung ist vernachlässigt! Und doch weicht Dürer vom Text ab* Er zeigt das Weib als Lichterscheinung vor dem Himmel, die Erde nur mit den Gewandspitzen berührend, den Drachen aber — im Gegensatz zum Text — aus dem Feuerabgrund hervor über die Erde hinkriechend, ihr eng verhaftet. Weib und Drache so zu kontrastieren, ist eine Dürer eigene Interpretation. Satan, als Dämon der Wolkenzone, hätte dem mittelalterlichen Vorstellungskreis nicht entsprodien.

Dürer begnügt sich nicht damit, Weib und Drache gegenüberzustellen. Er will deutlicher sein und zugleich noch mehr vom Sinn des Textes einfangen. Der Drache füllt die rechte Bildhälfte aus —, daß es die rechte ist, entspridit allgemeinem mittelalterlichen Gebrauch, das Böse rechts darzustellen (im Bilde rechts, also heraldisch links = sinister = Unheil = der Bereich des Bösen). Aber seine Körperform teilt das Blatt deutlich in einer Diagonale von links unten nach rechts oben, womit dynamisch das Vordringen gegen das Weib bildwirksam wird „Der Drache verfolgt das Weib.“

Mehr noch. Der Drache hat sieben Köpfe. Mehr sagt der Text nicht. Alle Illustratoren zur Apokalypse vor Dürer haben sich begnügt, dem Tier sieben drachenartige, untereinander aber gleiche Köpfe zu geben. Dürer, eindrudtsvoller und sinnklärend, stattet jeden dieser Köpfe mit irgendeinem tiersymbolischen Teufelssinn aus.

Da finden wir nun als den höchsten unter den sieben Köpfen den Wildesel. Den Wildesel, wie er brüllt. Die kleinen Strichlein, die von seinem Maule aus in die Himmelsschattierung überlaufen, mächen ja sein Aufbrüllen zum Himmel sinnfällig.

Klarer als eine Beischrift redet also dieser wutschnaubende Tierkopf zu uns, wenn wir die Tiersymbolik verstehen, wenn nicht schon durch die Anschaulichkeit des Brüllens allein, daß der Drache der Teufel ist, wie er im weltgeschichtlichen Zeitpunkt des Erscheinens der Kirdie aufbrüllt vor Zorn, „daß das Volk der Heiden bekehrt ist zum makel losen Licht“.

„Der Drache stellte sich vor das Weib, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind verschlinge. Und sie gebar ein Kind, ein männliches; es sollte einmal weiden alle Völker mit eisernem Zepter; und das Kind ward zu Gott entrückt.“

Die Entrückung zu Gott kann nicht anschaulicher dargestellt werden als bei Dürer. Aber wie er es tut, das soll dem Beschauer noch mehr sagen. Wir kennen dieses Kindlein, das auf einem Tuche von zwei Engeln zu Gott,emporgetragen wird, von vielen gotischen Tafelbildern. So wird das Aufsteigen der Seele dargestellt, wenn ein Seliger stirbt. EHe Entrückung ist der Opfertod Christi, durch den das Reich Satans auf Erden zu Ende geht. Sie ist es darum auch, der der Eselskopf nachbrüllt.

Und wollen wir noch, wo doch alles bei Dürer so sinnvoll erdacht ist, bloße Füllfiguren nirgends Platz finden, von dem großen Engel bei der Ecke links oben sprechen. Ist er wirklich nur da, um die Herrlidikeit Gottes und die Erhabenheit des großen Augenblicks der Einkehr des Messias anzubeten?

Vielleicht dürfen wir darum erinnern, daß der Eselskopf Sinnbild des Frühlingsanfanges ist, daß hier der Gedanke an die Verkündigung mitschwingt.

Nichts im Bilde deutet darauf hin, daß Dürer so verstanden sein wollte. Seine Landschaft ist überzeitlich, nicht durdi eine Jahreszeit bestimmt, denn das apokalyptische Geschehen ist ja auch überzeitlich. Nirgends finden wir eine Lilie, das Symbol der Verkündigung. Wie wäre das auch mit der Entrückung, dem Opfertod, vereinbar?

Und dennoch, vier Personen sind für vollständige Darstellungen der Verkündigung auf gotischen Tafeln charakteristisch: Die Hauptgruppe Maria und Gabriel, dann Gottvater und das Kindlein, das von ihm zu Maria herabgleitet. Vier Personen sind es auch, die den Raum des Guten in diesem Blatte füllen. Sind es nicht die gleichen?

Das Weib ist in mystischer Inkarnation das Volk Israel als Stamm, dem das Reis entspringt, ist die Kirche und ist Maria als Gottesgebärerin zugleich. Der eine große Engel aber, sollte er nicht Gabriel sein, der wieder kündet, du bist gebenedeit4?

Das Blatt vom Sonnenweib stellt den Anbruch des weltgeschichtlichen Frühlings dar nach langer Finsternis, da der Wildesel brüllt.

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