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Ein Reformer

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Am 18. Mai des Jahres 1884 wurde Johann Parsch in Neustift bei Olmütz geboren. Der Name Pius Parsch ist jedoch weniger mit dem Geburtsort als mit der Wirkungsstätte dieser bedeutenden Persönlichkeit der Kirche des 20. Jahrhunderts verbunden, nämlich mit Klosterneuburg.

Parsch war ein Prophet. Er war davon überzeugt, einen Auftrag, eine ganz bestimmte Botschaft an die Kirche zu besitzen. Er sprach wiederholt von „seinem Charisma" oder von einem Schatz, den er gefunden hat. Immer mehr wuchs er in diese Aufgabe hinein und war von ihr so fasziniert, daß er alles andere beiseite schob. Er verkündete seine Ideen, gelegen oder ungelegen. Natürlich hatte er bald begeisterte Anhänger — und ebenso auch scharfe Gegner. Es gab auch Mitläufer, denen nicht alles gefiel und solche, die in vorsichtiger Weise nur den einen oder anderen Gedanken aufgriffen.

Mit Zivilcourage geißelte er in Vorträgen und Artikeln, vor allem in der von ihm gegründeten Zeitschrift „Bibel und Liturgie", Zustände, die in seinen Augen Mißstände waren.

In seinen späteren Jahren erkannte Parsch immer mehr, daß es nicht nur um ideale Gottesdienstgestaltung und um besseres biblisches Wissen geht. Die Bewegung, die von der Bibel und der Liturgie ausging, drängte zu einer Gesamtreform der Kirche. Parsch ging es um die Wurzel: was zuerst erneuert werden mußte, war die Frömmigkeit. Es ging nicht darum, der Kirche ein modernes Kleid umzuhängen; es ging um eine echte Metanoia, um den schmerzlichen Prozeß der Umkehr, eines Neuanfangs. Die eigentlichen Quellen des Christentums wurden erkannt: die Heilige Schrift und die Liturgie. Beides war ja die ganze Zeit vorhanden, beides war aber zum Beiläufigen herabgesunken; das Periphere stand im Vordergrund.

Das Geheimnis von Pius Parsch lag in seinem für ihn so selbstverständlichen Bezug zur Praxis. Einerseits wußte er sich ganz der in der Romantik wurzelnden Liturgieerneuerung verbunden, anderseits stand er zutiefst in der Tradition der österreichischen Pastoraltheologie, die auf die „katholische Aufklärung" zurückgeht. Ihm war es gegeben, Inhalte verständlich zu machen und Lösungen für die Basis zu finden. Wenn er selber auch nicht Pfarrer war, sondern in der „Liturgischen Gemeinde St. Gertrud", die aus gleichgesinnten Menschen bestand, seine Ideen zu verwirklichen suchte, war das Ziel seiner Bemühungen eindeutig die Pfarre.

Parsch beobachtete schon am Anfang seiner Tätigkeit (1926) drei Charakteristika der zu dieser Zeit geübten „Frömmigkeit des Volkes": sie ist 1. subjektiv und individualistisch, 2. peripher und nicht christozentrisch und theo-zentrisch und 3. arm und wenig abwechslungsreich. Dazu kam, daß „von oben" in erster Linie von Geboten und Verboten die Rede war und das Sündenbewußtsein im Mittelpunkt stand. Er versuchte, bewußtseinsbildend zu wirken. Er wußte, daß er durch Vorträge, Bücher und Schriften gewiß Impulse geben konnte, daß

dies letztlich aber wieder theoretisches Tun war. Daher schuf er mit „St. Gertrud" eine Mustergemeinde. Hier konnte man die neue Spiritualität erleben. Allerdings ging das nicht ohne große Eingriffe ab.

Die nahezu unwahrscheinliche Konsequenz von Pius Parsch zeigte sich in einem kompromißlos einheitlichen Stil, der bis ins kleinste Detail reichte. Jede Handlung, jede kleine Geste, jedes Kleidungsstück, jeder Gebrauchsgegenstand, jedes Wort und die Art und Weise, wie gesprochen und gesungen wurde, war durchdacht, alles war aus einem Guß, getragen von einer Idee. Und was das Ganze für junge Menschen faszinierend machte, war: man hatte das Gefühl, etwas Neues ist aufgebrochen, die Kirche lebt, sie hat einen Weg in die Zukunft gefunden.

In diese Gemeinde lud Parsch Gäste ein, hier veranstaltete er seine Tagungen. Aus der Erfahrung dieser Gemeinde erwuchsen auch seine Schriften und vor allem seine gottesdienstlichen Behelfe und Unterlagen, die - in Millionenauflage verbreitet — die neuen Theorien unmittelbar gleich in die Praxis umsetzen halfen.

Auszug aus Heft 1/84 „Bibel und Liturgie", stark gekürzt; siehe auch FURCHE Nr. 19, Seite 8, „Pius Parsch"

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