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„Volksliiurgie"

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Anläßlich des Weltkongresses der Kirchenmusik, der gegenwärtig in Wien tagt, erscheint es als eine Ehrenpflicht, auch eines Mannes zu gedenken, dessen Lebenswerk vielleicht für die weitere Entwicklung der Musica sacra von entscheidender Bedeutung sein wird, des Professors Dr. Pius Parsch, der in diesem Jahre, fast siebzigjährig, in die ewige Heimat abberufen wurde, und der von ihm erweckten volksliturgischen Bewegung. Es sei den musikalischen Fachleuten überlassen, über die Forderungen der Volksliturgie an die Kirchenmusik zu urteilen, aber vielleicht darf es gerade vom Hause des Verewigten her unternommen werden, über dessen geistiges Vermächtnis im allgemein-religiösen Sinne eine Ueberschau und Deutung zu geben.

Pius Parsch, der seinen Klosternamen Pius nach der Wahl des Papstes Pius’ X. erhielt, fühlte sich, freilich erst in Rückschau auf seine Lebensarbeit, als ein Testamentsvollstrecker dieses heiligen Papstes, der in seinem berühmt gewordenen Motu proprio vom 22. November 1903 über die Kirchenmusik das Wort von der aktiven Teilnahme ausgesprochen hat. Diese aktive Teilnahme des Volkes am Kult der Kirche aber wurde das große Anliegen und Spezifikum der Klosterneuburger Liturgiebewegung und ihres geistigen Vaters. Diese Erkenntnis und Sendung waren ihm freilich ganz spontan zuteil geworden; er selbst war ja in aller Demut überzeugt, hierin von Gott ein Charisma erhalten zu haben. Diese Demut steht keineswegs im Widerspruch dazu, daß sich auch für die „Volksliturgie“ — Pius Parsch ist der Urheber dieses pleonastischen Wortes — vorgegebene Komponenten finden lassen. Er selbst hat sich auch als Schüler Maria Laachs bezeichnet und er sah in dem schlesischen Pfarrer Dr. Stephan aus Marklissa seinen Vorläufer. Von der liturgischen Bewegung nun, wie sie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts von den Reformzentren des Benediktinerordens Solesmes und Beuron ausging, unterschieden sich seine Erneuerungsbestrebungen durch die besondere Berücksichtigung des Volkes im heiligen Dienst der Kirche. Diese Differentia specifica ist bei Pius Parsch wohl österreichisch, vor allem aber augusti- nisch bedingt. Volksnähe und Volkstümlichkeit waren das Erbteil so vieler großer Menschen in Oesterreich, wie es sich etwa in der Musik Joseph Haydns oder in der Urwüchsigkeit Maria Theresiens offenbart. Es ist ferner kein Zufall, daß der Beuroner Pater Anselm Schott zum ersten deutschen Volksmeßbuch im österreichischen Seckau, und zwar durch einen schlichten Mann aus dem Volk, die Anregung erhielt. Augustinisch aber ist die seel- sorgerliche Ausrichtung der liturgischen Erneuerungsbewegung des großen Klosterneuburger Chorherrn zu nennen.

Aus der apostolischen, priesterlich-seel- sorgerlichen Grundhaltung des Chorherrn Pius Parsch kommt Antrieb und Anliegen seiner „Volksliturgie“. Hier ist der heilige Dienst nicht Aufgabe der klösterlichen Gemeinschaft allein, sondern er ist auch eine Angelegenheit der Gemeinde des einfachen

Volkes — „Volkswerk“! In der „Volkslitur- gie“, dem Rechenschaftsbericht über sein Lebenswerk, schreibt Parsch: „Das Stift Klosterneuburg ist der Rahmen und zugleich der Mutterboden, aus dem sich ein Werk erhob, das in der Weltkirche Widerhall findet, die volksliturgische Erneuerung. Die Bewegung liegt ganz im Geiste unseres Ordens, der die feierliche Liturgie mit Seelsorge verbindet, und auch des Stiftes, das Kraftstation christlicher Kultur sein soll.“

Im gleichen Abschnitt des erwähnten Buches gibt Pius Parsch auch eine knappe Skizze seiner Pionierleistung. Wir heben einige Sätze davon heraus, um ihn selbst zu Worte kommen zu lassen: „Die volkslitur- gische Bewegung hat (im Gegensatz zur bene diktinischen Liturgiebewegung) viele Probleme zu lösen, da die gegenwärtige Liturgiepflege ausschließlich Priesterliturgie geworden ist und dem Laien fast jede Aktivität entzogen hat. Nun muß die volksliturgisch Bewegung tastend vorfühlen, um die Möglichkeiten und Grenzen der aktiven Teilnahme zu erforschen . . . Die volksliturgisch Bewegung hat sich zuerst der Messe angenommen und sucht alle Möglichkeiten, das Volk in die Feier hineinzuziehen. Da muß sie erkennep, daß vieles in der Messe erstarrt und fossil geworden ist. Sie sieht, daß der Wortgottesdienst der Vormesse fast überhaupt seinen Zweck eingebüßt hat, das Gotteswort zu Gehör zu bringen; sie erkennt, daß das Volk fast ganz ausgeschaltet wurde und vom Sängerchor, vom Ministranten vertreten wird. Sie mußte sogar dafür kämpfen, daß den Gläubigen das Opfermahl in der Messe gespendet werde. In bezug auf die Meßfeier des Volkes knüpfte sie an die schon bestandene Missa recitata an; diese wurde ausgebaut und volkstümlich gestaltet. Da kam die volksliturgische Bewegung zu vier brauchbaren Meßfeiertypen: zur Chormesse, zur Betsingmesse, zum Volkschoralamt und zum .Deutschen Hochamt“.“

Was nun Pius Parsch für die Meßerziehung und darüber hinaus für das tiefere Verstehen des sakramentalen Kosmos schriftstellerisch und verlegerisch geleistet hat, ist religiöse Volkserziehung größten Formats.

Damit kann nur noch seine Bibelarbeit verglichen werden, die zur Schaffung der billigsten Volksbibel im deutschen Sprachraum führte. Denn von Anfang an ging mit der Klosterneuburger Liturgiebewegung ein Bibelbewegung Hand in Hand. Nach einem Wort des Verewigten auf dem Eucharistischen Kongreß von Barcelona ist die Bibel „Der Mund der stummen Eucharistie“.

Von Bibel und Liturgie her aber wollt Pius Parsch das Volk in die Herzmitte de Christentums führen — zur Teilhabe an der göttlichen Natur durch die heiligmachend Gnade. Darin gipfelt seine religiöse Erziehungsarbeit. „So glauben wir“, schreibt er in der „Volksliturgie“, „wird unsere Bewegung andere Gebiete unserer Religion befruchten. Und wir begnügen uns nicht mehr mit den rein liturgischen Zielen: wir sprechen von gesamtchristlicher Renaissance.“

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