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Grabenspiele

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Gesellschaftsspiele am Graben anno 1802: „Eine Menge Stutzer, die sich theils bis zu dieser Stunden angezogen haben und theils jetzt aus den Bureaux und den Contoirs kommen, postieren sich mit der Lorgnette in der Haund, die vorübergehenden Schönen zu beurtheüen“, weiß ein Zeitgenosse zu berichten. Eine Variante des Spiels „Ich seh\ ich seh\ was du nicht siehst“ für Erwachsene.

Und heute? Die Flaneurs und Stutzer von einst würden kaum noch die Ruhe finden, den Graben vom Stephansplatz zum Kohlmarkt entlang zu spazieren und ihre Beobachtungen zu machen. Zu hastig flutet die drängende Menge der arbeitenden Bevölkerung zur Arbeit, in die Mittagspause, zurück ins Büro, von der Arbeit zu den notwendigen Einkäufen und nach Hause. Das Heer der ringsum angesiedelten Hochbürokraten, Geschäftsleute, Rechtsanwälte etc. sorgt für Bewegung untertags, während Nachtschwärmer aller Schattierungen, Theaterbesucher, Beiselgäste, neugierige Touristen Leben ins abendliche Dunkel bringen.

Doch wer sich die entsprechende Muße nimmt, wird auch mitten im munteren Treiben Platz für moderne Gesellschaftsspiele finden. Wie war’s etwa mit Tempelhüpfen? Zwar kein neues Spiel, aber unter ungewöhnlichen Umständen: Die funktionslos gewordenen Bodenmarkierungen im westlichen Grabenbereich bieten sich förmlich dafür an. /

Seit die Fußgängerzone bis zum Kohlmarkt ausgeweitet wurde, besteht ein unterhaltsames Schauspiel auch darin, die Autofahrer wüd schimpfend wieder umkehren zu sehen, wenn die Bognergasse unvermutet zur Sackgasse wird. Im Westen (des Grabens) nichts Neues: „Laßt die Räuber durchmarschieren“ ist ja ebenfalls ein altes Kinderspiel. Seit sich allerdings herumgesprochen hat, daß es hier keinen Durchmarsch mehr gibt, verliert das Spiel an Teünehmern und damit seinen Reiz.

Abwechslung aber auch sonst allenthalben! Hat der Wanderer am Graben Glück, besprüht ihn eine reizende junge Dame mit einem Duftwässerchen für Herren.

Ein gesellschaftliches Ereignis sind die beiden Jugendstiltoiletten, vom Wiener Bürgermeister erst vor wenigen Jahren frisch renoviert, mit Pomp einem Zweck übergeben, der genauso in der Befriedigung menschlicher wie kultureller Bedürfnisse besteht. Hier bietet sich die Gelegenheit für eines der so modernen Psychospie- le: Worauf ist wohl der so zufriedene Gesichtsausdruck zurückzuführen, der den Menschen beim Verlassen der stillen, schmucken Stätte eignet? Ist es primär das Kulturerlebnis, für das die Gemeinde Wien in ihrem Budget kürzlich einige Millionen locker machte? Oder doch eher… ?

Genug der Bei- und sonstigen Spiele! Wie man sieht, kann man auch in das graue Alltagsleben der modernen Großstadt mit etwas Phantasie noch Farbe bringen.

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