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Haerdtl war damals der beste...

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Oben links sieht man den Neubau des kriegszerstörten Heinrichshofes bei der Wiener Oper, wie ihn sich der Architekt Oswald Haerdtl vorstellte - rechts, wie ihn ein anderer Architekt realisierte. Der Unterschied illustriert nicht nur eine der vielen städtebaulichen Entscheidungssituationen im Nachkriegs-Wien, in denen man sich für die unästhetischere Lösung entschied, sondern auch Haerdtls Recht auf neue Bewertung.

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Oben links sieht man den Neubau des kriegszerstörten Heinrichshofes bei der Wiener Oper, wie ihn sich der Architekt Oswald Haerdtl vorstellte - rechts, wie ihn ein anderer Architekt realisierte. Der Unterschied illustriert nicht nur eine der vielen städtebaulichen Entscheidungssituationen im Nachkriegs-Wien, in denen man sich für die unästhetischere Lösung entschied, sondern auch Haerdtls Recht auf neue Bewertung.

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Eine große Retrospektive im Museum für Angewandte Kunst (das sich in einer Serie von Ausstellungen seiner Vergangenheit entsinnt) gibt Gelegenheit, zu einer gerechteren Beurteilung jenes Architekten zu finden, der unter anderem das zerstörte Bundeskanzleramt wiedererrichtete, neben Villen zahlreiche Messe- und Ausstel-, lungsbauten plante und als einer der Mitschöpfer des Wiener „Espressostiles“ in die Baugeschichte einging.

Haerdtl, der 1959 siebzigjährig starb, war gewiß keine der überragenden österreichischen Architektenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Neben Hoffmann, Loos und anderen Stilbildenden, aber auch, als Designer neben Bedeutenden wie Kolo Moser, mit dem er im Atelier von Josef Hoffmann zusammenarbeitete, war er zweitrangig. Was noch immer einen sehr respektablen Rang bedeutet - und, daß Haerdtl für Wien, wie es sich nach 1945 präsentierte, in mancher Beziehung noch immer viel zu gut war. Denn im

Gegensatz zum Wien nach 1918 konnte man hier nach dem Zweiten Weltkrieg den Eindruck gewinnen, die Mittel-und Untermittelmäßigkeit der Dritt-und Viertrangigen habe sich auf allen Gebieten gegen die Qualität verschworen. Haerdtl ist gerade dort unterlegen, wo er das Bessere zu bieten hatte. Die ästhetischere Lösung - wie im Fall Heinrichshof. Oder die durchdachtere, großzügigere, zukunftsweisendere Option - Wie im Falle Stephansplatz. Erfolg hatte er dort, wo er sich anpaßte. Das fiel ihm allerdings leicht. In der Zusammenarbeit mit den Auftraggebern war er kein Loos, kein Problematischer.

Und da er nicht von jener Größe war, die in Wien so leicht zur Disqualifikation führt, konnte er manches verwirklichen. Zum Beispiel das Museum der Stadt Wien auf dem Karlsplatz, von dem ich anläßlich der Fertigstellung schrieb, es zu betreten sei ein doppeltes Vergnügen, weil man es dann nicht mehr von außen zu sehen brauche. Aber Haerdtl war damals bereits schwer krank und soll in etlichen Punkten von den Dreinrednern überrannt worden sein.

Sein Projekt für die Neugestaltung des Stephansplatzes fiel einem kurzsichtigen Kommerzdenken zum Opfer, das keinen nutzbaren Kubikmeter herschenken wollte. Haerdtl wollte nicht nur Arkaden gegenüber der Westfassade des Domes, sondern auch, mit Portal in voller Haushöhe gegenüber dem Riesentor, eine „Große Galerie“, einen gedeckten Raum für Geschäfte als wettergeschütztes innerstädtisches Flanierzentrum. Heute,

angesichts der U-Bahn-Station auf dem Stephansplatz, wäre man darüber glücklich. Haerdtl ahnte es: „Die derzeitige Lösung ist mir zu provinziell. Nach Jahrzehnten wird man mit Bedauern sehen, daß sich Wien die Gelegenheit entgehen ließ, eine wirklich schöne und großzügige Lösung durchzuführen.“ Dieser Zeitpunkt ist gekommen ...

Haerdtl war ein Mann von schöpferischer Potenz. Was ihn von den Erstrangigen unterschied, war in erster Linie seine Kompromißbereitschaft, seine Anpassungswilligkeit, anders herum gesagt: das Fehlen der großen, persönlichen, lebensbestimmenden Linie, an der konsequent festgehalten wird. Wo er sich nicht durchsetzen konnte, steckte er zurück - „austoben“ konnte er sich schließlich als Innenarchitekt zahlreicher Wiener Restaurants, Cafes und Espressi und als Mitschöpfer der Wiener „Espressoarchitektur“.

Dabei war er ein hochbegabter Designer. Er entwarf Sessel und viel anderes Mobiliar, Gläser und Eßbestek-ke, Beleuchtungskörper und Silberkannen, Orden und vieles sonst. Manches davon verrät die Herkunft aus der Wiener Werkstätte, den Einfluß von Josef Hoffmann und Kolo Moser, die Sicherheit des Proportionsgefühles. Anderes ist nur gefällig.

Genau das, nämlich das Unverbindliche und Gefällige, war damals in Wien Stil der Zeit. War Ausdruck eines Lebensgefühles, wurzelte tief - nämlich dort, wo aus verdrängter Schuld die Lebenslüge einer Stadt erwuchs. Im Wien in der Zeit zwischen 1945 und dem Aufkommen einer neuen Architektengeneration (Rainer, Schwanzer) war für Kompromißlosigkeit, für Prinzipien, kein Platz. Generationsschick-sal...

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