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Mohr, General und Raddatz

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Bei offiziellen Anlässen kommunistischer Regime und Parteien 'blicken Marx und Engels, neben Lenin und einer Auswahl wechselnder Genossen, immer noch ernst, würdig und vollbärtig, wie es sich für hoffnungsvolle Jungmänner auch heute wieder gehört, von Großporträts oder mitgeschleppten Plakat-Ikonen und Postern auf ihre so uneinigen Gefolgschaften herab. Damit sie nicht gänzlich zu fernen Götzen erstarren, „unnahbar euren Schritten", werden ihre von den „Proletariern" un-gelesenen Werke in den amtlichen Monopolverlagen der Regime wie ein sich selbst fortzeugender Milchbrei immer wieder reproduziert. In den Verlagen der nicht „regierenden" kommunistischen Parteien ist es nicht anders. Dem Übel des Desinteresses ist abzuhelfen, ein lesbarer, attraktiver Marx ist allen, die nach geistigem Manna dürsten, den ach so orientierungslosen Jungintellektuellen anzubieten.

Fritz J. Raddatz ist vor fünf Jahren schon mit einer - sogleich heftig umstrittenen - Marx-Biographie eingesprungen. Seiner Entgötzung, seiner Wiedervermenschlichung Marxens von 1975 hat er nun eine Auswahl aus dem Briefwechsel zwischen Marx und Engels nachfolgen lassen. Mohr war im engeren Kreis Marxens Spitzname; Engels' Leidenschaft für alles Militärische hat ihm den hohen Rang als freundliche Neckerei eingetragen.

Aus den Briefen und den publizistischen Äußerungen von Marx und Engels hat Wolfgang Leonhard schon vor zwanzig Jahren lästerliche Antworten auf Fragen unserer Zeit destilliert: in der Hauptsache eine vernichtende Kritik an den Regimen derer, die sie zu ihrer Legitimation und zur Knebelung der anderen allezeit im Munde führen. Ernst Topitsch hat in seinen Studien zu „Gottwerdung und Revolution" (1973) aus persönlichen Zeugnissen von und über Marx die Schattenseite von dessen Persönlichkeit, ihren diktatorischen Machthunger erhellt.

Igor Schafarewitsch, der sowjetische Mathematiker und Bürgerrechtler, charakterisiert in seinem Werk „Der Sozialismus als Erscheinung der Weltgeschichte" an Hand der Briefe zwischen Marx und Engels dieselbe zerstörerische, menschenfeindliche Haltung, die er auch bei Bakunin und dessen allzu gelehrigem „Schüler" oder Verführer Netschajew wahrnimmt. Es sind doch wohl nicht gerade die Dümmsten beim Lesen dieser Korrespondenz voll Haß, Arroganz, Wehleidigkeit und Unflat nachdenklich geworden.

Raddatz nennt sie „getrost eines der unerhörtesten geschichtlichen und menschlichen Dokumente des 19. Jahrhunderts", liefern sie doch die „unglaublichsten Details"; sie zeigen die beiden in „zahllose" politische Aktivitäten, Intrigen, Emigrantenquerelen verstrickt. Zwischendurch bewirtet Engels in seiner „repräsentativen" Stadtwohnung Geschäftsfreunde, Industrielle, Adel und Gentry Manchesters mit „erlesenen" Weinen, und ab 1868 bekommt Marx von ihm eine „üppige" Pension, was den immer eifersüchtigen Marx jedoch nicht hindert, „dünnlip-pige" Briefe zu produzieren; usf. Aus der Moskauer Chronik von Marxens

Leben (464 Seiten ifr der deutschen Ausgabe) sind Angaben auf 30 Seiten exzerpiert.

Wozu nun das Jammergewäsch und die Schmutzwäsche ausbreiten? Weil es, so Raddatz, keine bessere Biographie der beiden gebe als ihre eigenen Briefe? Ob das als Abbitte zu verstehen ist - wegen der Pluster-Biographie von 1975? Wer unter den Erben der „Väter des Kommunismus" lebt, benötigt keine Entgötzung, keine Vermenschlichung. In der freien Welt ist es anders. Da soll der Trick ziehen: Im Staatssozialismus ist es auch nicht (viel) anders -mal fast so schlecht wie bei uns, mal fast schon auch so gut. Da trifft es sich, daß es bei den Gründer-Opas so sehr menschelt: Arme Teufel, Typen, mies wie du und ich.

Bärtig wie seine ungöttlichen Hausgötter auf der Vorderseite des Buches, strahlt uns Raddatz von der Rückseite an; an der Imitations-Selbstinszenie-rung ein geistiger Urenkel und nachfahrender Gesell (nicht Genosse). Unverblümt gesagt, auf dem Niveau der getrost unerhörtesten Dokumente (wenn ich sie richtig „erhört" habe): Raddatz, „einer von den anschmeißerischen Obergschaftlhubern", von den „fixen Schnöseln der bundesdeutschen Kulturszene", steht den beiden Tübinger Altmaulwerksburschen, Jens und Küng, sehr viel näher als dem einst und seither vielgeplagten und mißbrauchten Freundespaar „Mohr" und „General".

MOHR AN GENERAL. Marx und Engels in ihren Briefen. Fritz J. Raddatz (Hrsg.) Verlag Fritz Molden, Wien 1980, 304 Seiten, öS 185.-

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