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Marx und die Dynamik der Gesellschaft

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GENESIS DES HISTORISCHEN MATERIALISMUS. Von Paul Kiti. Mit einem Vorwort non Werner Kiti. Europaverlag Wien-Frankturt-Zürich. 416 Selten, S 228.—.

Der vor wenigen Jahren verstorbene Verfasser, Schweizer Sozialist der ethischen Richtung, hat sich bemüht, im Rahmen eines umfassenden Quellenstudiums jene Elemente zu finden — vor allem soweit sie literarischer Provenienz sind —, die Karl Marx zu seiner materialistischen Interpretation der historischen Abläufe bestimmt und schließlich über die Weltanschauung von Marx auch den Glauben des Marxismus bis in die Gegenwart wesentlich beeinflußt haben.

Das Ruch wird durch ein ausgezeichnetes Vorwort des Bruders des Verfassers eingeleitet und teilweise erläutert, was um so notwendiger ist, als das Werk nicht mehr zu Ende geführt werden konnte. Die umfangreiche Arbeit gibt hinreichende Belege, aus denen die Einflußfaktoren für das Denken des jungen Marx herausgelesen werden können. Manchmal hat man freilich das Gefühl, daß die Darstellungen zu breit geraten sind und sich vielfach in Nebenbereichen derart etabliert haben, daß es oft schwer ist, das ursprüngliche Anliegen des Werkes zu erkennen. (Anderseits wird uns aber durch die Expansion der Untersuchungen Material zur Geschichte des Frühmarxismus vorgelegt, das uns heute kaum mehr zugänglich ist.) Jedenfalls wird nicht selten die Vermutung geweckt, es werde (nur) über Hegel und nicht über Marx geschrieben, wobei 9ich der Verfasser als ein ausgezeichneter Kenner der Hegelschen Gedankengänge und der Literatur der anderen Autoren erweist, die das Denken von Marx in unterschiedliche Richtungen zu lenken vermocht haben.

Die Ausstattung des Buches wie aller Werke der Reihe ist eine hervorragende. Es wäre freilich für den Gebrauch des Buches ungemein nützlich, wenn es auch ein Sachwort- verzeichnis enthalten würde.

Das Buch beweist neuerlich, wie schwierig es ist, Marx zu interpretieren, sind doch viele Passagen aus seinem Werk lediglich journalistisch bestimmt. Offenkundig sogar durch die Liebe zum Wort an sich, zu einer Wortschöpfung, der man erst spät einen Inhalt unterlegen mußte. Stets in Kontroversen mit Freunden und solchen, die es einmal gewesen waren, vermengt sich bei Marx die Polemik mit der Aussage, so daß die Linie des Denkens nicht leicht zu finden ist. Bei Max Weber, der entgegen seiner sonst bemüht wertfreien Darstellung sozialer Prozesse im privaten Leben eine Reihe von Auseinandersetzungen hatte, kann man dagegen eine reinliche Scheidung zwischen privaten Äußerungen und dem wissenschaftlichen Werk feststellen. Derlei fehlt bei Marx, wodurch später viele Analysen geradezu provoziert worden sind und aus Marx der „Marxist” gemacht wurde, der er selbst nicht sein wollte.

Das Buch behandelt nicht den ganzen Entwicklungsgang von Marx, sondern nur jenen Teil der Marx- schen Werke, der mit 1859 (Erscheinungsjahr von „Zur Kritik der politischen Ökonomie”) einen markanten Abschluß gefunden hat. Aus dem vom Verfasser vorgelegten Material kann man entnehmen, daß Marx nicht sosehr die Bausteine zu dem zusammengetragen hat, was man eine Weltanschauung nennt, sondern daß er vorhandene Bausteine zu einer Weltanschauung im Sinn des Atheismus rezipiert und in der materialistischen Geschichtsauffassung integriert hat.

Vor allem ist es Hegel, den Marx anregt, sich des Gesetzes der Dynamik bewußt zu sein, und dies gerade zu einer Zeit, da sich Marx ohnedies bemüht, in der Geschichte ein Bewegungsgesetz zu finden. Ebenso ist es Hegel, der Marx auf die den Denkmethoden Platons entnommenen dialektischen Denk- und Verfahrensansätze hinweist. Aus einer Ver- gegenständlichung Platonischer und Hegelscher Ideen kommt Marx zur Annahme, daß der Beweger in der Geschichte das Interesse ist, organisatorisch dargestellt in den Klassen, von denen nun eine, jene der Arbeiter, auf Grund einmaliger historischer Bedingungen geeignet erscheint, als historisch letzte Klasse den Geschichtsablauf auf der Höhe optimaler Wohlfahrt zu stabilisieren.

Das Buch ist, trotz der Mängel, die sicher auf den allzu frühen Tod des Autors zurückzuführen sind, ein Standardwerk der Marx-Forschung Nicht nur wegen der Fülle des vorgelegten Materials, das nur bei eminentem Fleiß zugänglich ist, sondern wegen der abwägenden Form der Darstellung, die nirgendwo vermuten läßt, daß Gesinnung und Faktendarstellung in einer unvertretbaren Weise vermengt wurden. Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt die Abenteuer eines Roboters — falls die Geschichte heute und nicht wie im Roman zur Zeit des Kaisers Karl des Großen spielte. Man könnte alle Figuren, Personen, Orte, Geschehnisse heute spielen lassen oder in utopischen Zukünften: sie blieben immer gut und amüsant, weil das Buch auf ironische Weise zeigt, wie sich alles Äußere zu allen Zeiten gleichbleibt. — Auf dem Umschlag des Buches ist eine Zeichnung aus der Feder Picassos — als sei sie für diesen Roman angefertigt worden.

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