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Karl Marx und die Umstände

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KARL MARX. Dargestellt von Werner Bl umenberg. Rowohlts Monographien. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Ramburg. 176 Selten, mit 70 Abb., Preis DM 2.80.

Eine Monographie über Karl Marx Ist gleichermaßen interessant als Studie des Revolutionärs schlechthin und als Bericht über einen Mann, dem wir viele der heute gegebenen Verhältnisse verdanken oder vorwerfen. In den bloßen Verhältnissen und Umständen, in ihrem Erfassen und in ihrer Veränderung, liegt die Größe eines jeden Revolutionärs; die Persönlichkeit ist, insoweit sie sich nicht mit diesen Umständen und dem revolutionären Gang der Dinge identifiziert, höchst mittelmäßig, ihr Schicksal meist ebenso außergewöhnlich wie elend. Gäbe es nicht diesen Zwang der Verhältnisse und ihren tierischen Ernst, gäbe es nicht die großen Umwälzungen und wäre nicht der Revolutionär ein Teil von ihnen, so müßten die absonderlichen Charaktere von Männern wie Marx oft komisch, zumindest aber tragikomisch, wirken. So aber ist für Humor wenig Platz; der Lauf der sich überstürzenden Gegebenheiten reißt fort, es bleibt keine Zeit zu lächeln.

Gewiß nicht zufällig “Wird bei Marx alles auf Umstände und äußere wie innere Gegebenheiten reduziert. Theorie und Trachten bleiben in diesem Bereich. Einzig Prädestination und Notwendigkeit regieren. Kein Wunder — denn Revolution bedeutet einen Umbruch in den Verhältnissen des Staates, der Familie, des einzelnen, der Wirtschaft usw., der den Gesetzen der Kausalität folgt, weil es sich eben angeblich nur um Verhältnisse handelt. Für menschliche oder göttliche Freiheit ist im System eines Revolutionärs nie Platz, davon kann er nichts verstehen. Sicher: es geht um den Menschen, um die Verwirklichung des ihm zustehenden Guten, der Wahrheit und des Schönen. Doch diese schrittweise Verwirklichung wird nicht als etwas gesehen, was der Mensch durch eigenes Bemühen leisten soll und muß, sondern die Zukunft verwirklicht sich, und die Gegenwart verändert sich — und den Menschen dazu. Der Mensch ist also bloß Objekt, bloß passiv, bloß beitroffen, nicht Herr der Lage. Ohne Zweifel ist der Gang der Geschichte zum Teil das Zusammenwirken von Komponenten, doch geht der Mensch in diesem Teil nicht auf. Marx als Revolutionär, der nur für die Umstände Platz und Auge in seiner Art aufzufassen hat, ist einfach konsequent, wenn er den Menschen keine Sonderstellung einräumt, sondern die Geschichte über sie hinwegrollen läßt und sie selbst zu bloßen Komponenten degradiert. Im System des Umstürzlers wird das menschliche Element nie eingerechnet, ja der Gewinn, der letztlich aus jeder Revolution für die Menschheit herauskommt, wird rücksichtslos auf Kosten der Menschlichkeit und zahlloser Menschenleben erkauft.

Leider spielten eben diese Verhältnisse Marx in seinem Leben recht übel mit. Als Redakteur verfiel er mehrfach der Zensur und mußte schließlich Deutschland verlassen. Seine Tätigkeit in Paris wollte den französischen Behörden auch nicht recht gefallen, also wurde er aus Frankreich ausgewiesen. Er ging nach Belgien. Da aber der preußische Geheimdienst nicht faul blieb und überall gegen ihn arbeitete, war sein letzter Ausweg, nach England überzusetzen. Während des Großteils seines Lebens hatte er sich mit der bedrängtesten persönlichen Lage abzufinden, seine Neigung zum Sonderling vertrug sich schlecht mit elterlichen Anschauungen und familiären Aufgaben, kurzum, überall gab es Schwierigkeiten und Reibereien. Leicht geriet er in Wut. Da ihn die Arbeiter, trotz aller Unzufriedenheit mit ihrem Los, doch stets mit jener gewissen Feindseligkeit betrachteten, die die Gesellschaft dem Außenstehenden entgegenbringt, tobte er und nannte sie „Straubinger“ und „Knoten“. Persönliche Enttäuschungen und der Gang der politischen Entwicklung, der so oft ganz und gar nicht seinen Erwartungen und Prophezeiungen folgte, machten ihn verbittert. Zwar sollte sein Name später, kurz nach seinem Tod, zum Schlagwort, sein Werk zur Schlagschrift der ganzen Revolution werden, allein er selbst hatte kaum die Befriedigung eines erfolgreichen Lebenswerkes. Charakter und Talent waren, abgesehen von der überragenden revolutionären Begabung, recht mittelmäßig, so daß sich sein Lebenslauf in vielem wie ein Auszug aus Dostojewskis „Dämonen“ liest.

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