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Gegen Chaos und Gewalt

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Und nur gar in politischen Dingen! Was ich da für Not und was ich da zu leiden gehabt, mag ich gar nicht sagen. Worüber Goethe, damals fünfundsiebzig-j ährig, nicht sprechen wollte — und es dann seinem getreuen Ek-kermann gegenüber doch recht ausführlich tat —, das waren jene massiven Vorwürfe, mit denen ihn vor allem die sogenannten Jungdeutschen überschütteten. Sie nannten ihn Fürstendiener und Aristokratenknecht, schalten ihn Zeitablehnungsgenie und Stabilitätsnarr, warfen ihm Egoismus, Bequemlichkeit, politische Indifferenz und Mangel an Verständnis für die Nöte und Sehnsüchte der deutschen Nation vor.

Niemals konnten sie ihm verzeihen, daß er jede revolutionäre Neuerung ablehnte, den napoleonischen Befreiungskriegen fernblieb und nicht lauthals für die Einigung Deutschlands eintrat.

Dieser Befund ist zutreffend, das Urteil dennoch ungerecht und einseitig gegenüber einem Mann jenseits der Lebensmitte, dem der Schock der Französischen Revolution tief in den Knochen saß und der nach Herkunft, Bildung und Amtstätigkeit dem ausgehenden 18., nicht dem beginnenden 19. Jahrhundert zugehörte. Goethes politische Heimat war nun einmal der aufgeklärte Absolutismus kleinstaatlich-patriarchalischer Prägung, wie er in Sachsen-Weimar unter Herzog Carl August in vergleichsweise ansprechender Art verkörpert war.

Diese milde, im Grunde machtlose und auf wenige Zwecke beschränkte Staatsform erschien ihm als der ideale Lebensraum, in dem das Individuum sich zur autonomen Persönlichkeit bilden und entfalten könne. Die Despotie eines einzelnen und den tendenziell ausufernden Machtstaat preußischer oder österreichischer Prägung lehnte er entschieden ab - ebenso die Herrschaft der breiten Masse.

Dahinter stand keineswegs eine Verachtung niedriger Volksschichten, sondern die Uberzeugung, daß Regieren ein Beruf sei wie jeder andere, der gelernt und geübt werden müsse und daher einer kleinen Schicht von Staatsweisen vorbehalten sei. Uber- k haupt solle jeder bei seinem Leisten bleiben, jeder in seinem ureigenen Bereich auf Ordnung sehen, dann werde auch das Ganze gedeihen; alles andere sei Pfuscherei: Ich hasse alle Pfuscherei wie die Sünde, besonders aber die Pfuscherei in Staatsangelegenheiten, woraus für Tausende und Millionen nichts als Unheil hervorgeht.

Wer solcherart das politische Heil vom Wirken der Staatsweisen erhoffte, den mußte jeder hemmungslose Ausbruch eruptiver Massenkräfte bis ins Innerste erschüttern und erschrecken. Die große Revolution von 1789 war ein derartiger Ausbruch, dessen Folgen Goethes politische Anschauungen in geradezu traumatischer Weise prägten. Obwohl er keineswegs die Mißstände des Ancien regime und die Schuld der Regierenden am Ausbruch der revolutionären Bewegung verkannte, leugnete er deren innere Berechtigung, weil sie nur eine Form der Herrschaft durch eine andere, noch schlimmere ersetze. Das Wilde, Ungehemmte und Dogmatische der Revolutionäre stieß ihn ebenso ab wie die hohl tönenden Schlachtrufe der Revolution: Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Scharlatans; und: jede Revolution geht auf Naturgesetz hinaus, Gesetz-und Schamlosigkeit!

Tief überzeugt von der Polarität alles Menschlichen sieht Goethe in Napoleon den Gegenpol zur revolutionären Anarchie. Besonders seit jener berühmten Erfurter Begegnung des Jahres 1808 (Vous etes un homme) erscheint ihm der Korse als Bezwinger der Massen und als Ordner von Chaos und Gewalt. Als das „Genie der Tat” stürzt, heftet Goethe sein politisches Hoffen bedenkenlos an den „Kutscher Europas”, an Metternich.

Getröstet und beruhigt erklärt er nach einem Gespräch mit dem Staatskanzler am 30. Oktober 1813: Denn es ist freylich geist-und herzerhebend, an denAnsich-ten solcher Männer Theil zu nehmen, die das ungeheure Ganze leiten, von dessen kleinstem Teil wir anderen uns gedrückt, ja erdrückt fühlen!

Von diesem Standort aus ist Goethes Antwort auf die „Jahrhundertfrage” der Deutschen: „Nun sag', wie hast Du's mit der Nation?” im vorhinein und eindeutig festgelegt. Er ist Deutscher, er fühlt sich als Deutscher, er steht auch den großen Ideen von Freiheit, Volk und Vaterland keineswegs gleichgültig gegenüber. Er begreift sie aber — im Gegensatz zu seinen jung-deutschen Zeitgenossen — nicht als politische, sondern ausschließlich als geistig-kulturelle Dimensionen.

Eine politische Einigung Deutschlands lehnt er ab: aus Angst vor dem damit notwendigerweise verbundenen Aufstieg der Massen; aus Furcht vor kultureller Gleichschaltung der deutschen Provinzen; aus der Uberzeugung, daß sie die Wirkungsmöglichkeit deutscher Kultur im Ausland beschränke und darüber hinaus nur geeignet sei, den gegenseitigen Nationalhaß zu schüren.

So blickt denn der „politische” Goethe mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft. Anden umwälzenden Ereignissen seiner Zeit erkennt und beurteilt er nur die äußeren, oberflächlichen Symptome. Daß sie von tief reichenden geistigen und politischen Strömungen getragen sind, übersieht er—weil er dies nicht wahrhaben will oder weil ihm in diesem Punkte der sonst an ihm so gerühmte „Durchblick” fehlt.

Nur ein Problem hat er deutlicher als seine Zeitgenossen erkannt, vielleicht auch nur - von seinem „menschheitlichen”

Standpunkt aus — intuitiv erfaßt: welch ungeheure Gegenkräfte ein übersteigertes Nationalstaatsdenken herauszufordern vermag. Quod demonstratum est!

Der Autor ist Professor für Deutsches Recht und österr. Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte an der Universität Wien.

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