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Aus der Frühzeit des Marxismus

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KARL MARX’ WERKE, SCHRIFTEN, BRIEFE. Studienausgabe in acht Bänden: 6. Band: „Kritik der politischen Ökonomie“, „Kapital“, 3. Band: „Kleinere ökonomische Schriften“; Herausgegeben von Hans Joachim Lieber. Cotta-Verlag, Stuttgart, XI. 1114 Seiten, Leinen, DM 46.—.

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KARL MARX’ WERKE, SCHRIFTEN, BRIEFE. Studienausgabe in acht Bänden: 6. Band: „Kritik der politischen Ökonomie“, „Kapital“, 3. Band: „Kleinere ökonomische Schriften“; Herausgegeben von Hans Joachim Lieber. Cotta-Verlag, Stuttgart, XI. 1114 Seiten, Leinen, DM 46.—.

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Mit dem vorliegenden Band werden die vom Verlag herausgegebenen „ökonomischen Schriften“ von Karl Marx abgeschlossen (vorhergehende Besprechungen siehe „Die Furche“ 18 1961, 33 1963). Die

Rezension des vorliegenden Bandes bietet die Gelegenheit, nochmals auf das verdienstvolle Unternehmen des Cotta-Verlages hinzuweisen, der die Werke von Karl Marx in einer drucktechnisch hervorragenden Weise publiziert und so die Möglichkeit bietet, Marx im Original zu studieren, statt, wie vielfach geübt, aus polemischen Schriften seiner Anbeter und Gegner. Man mag für oder gegen Marx sein; übersehen kann man ihn nicht. Im Gegenteil. Der nunmehr geradezu legitime und institutionalisierte Dialog mit den „Ungläubigen“ gebietet dem Katholiken, die Argumente der Marxisten ernsthaft zu prüfen. Jeder Antimarxismus ist ein bedenkliches Unterfangen, wenn er nicht aus profunder Kenntnis’ der Werke von Marx formuliert wird.

Die Analysen von Marx haben eine historische, längst abgestorbene Gesellschaft zum Gegenstand gehabt; sie sind daher ebenso wie die Periode des Hochkapitalismus ein historisches Phänomen, soweit sie nicht das in kommerzielle Handlungen übersetzte Menschliche — Allgemeinmenschliche kritisieren, für dessen Darstellung sich auch im kommunistischen Osten heute bereits beste Modelle anbieten. Anderseits ist der marxistische Sozialismus als Organisation eine gegenwärtige Wirklichkeit und ist bis vor wenigen Jahren, sehr zu seinem Schaden, eindeutig von den historisch fixierten Analysen des Karl Marx bestimmt gewesen, die er in bedenklicher Kritiklosigkeit voll der Gegenwart zumutete, fast ohne Adaptierung seiner Theorie an die sich aufdrängenden Erfahrungen der Praxis.

Trotz einer allmählichen Anpassung der marxistischen Theorie an jene des sogenannten „Westens“ ist auch der gegenwärtige, sich der Instrumente der modernen Nationalökonomie und Soziologie bedienende Marxismus zumindest emotionell an

Karl Marx gebunden und demonstriert die Verzweiflung des Nur- Pragmatikers, der glaubt, zumindest in Grenzsituationen auf eine Theorie Regreß nehmen zu müssen. Daher bedarf es zum Verstehen so mancher scheinbar irrationaler marxistisch etikettierter Entscheidungen der Kenntnis des klassischen Schrifttums, auf das Bezug genommen wird, wenn es die Praxis gestattet.

Der vorliegende Band, der nun im Zusammenhang mit den beiden ersten bereits rezensierten Bändchen gelesen werden kann, schließt die Wiedergabe des „Kapital“ („Kritik der politischen Ökonomie“), in der noch von Friedrich Engels bevorzugten Fassung ab und enthält überdies einige „kleinere ökonomische Schriften“, so die erste Arbeit, in der Marx sich mit der Untersuchung ökonomischer Tatbestände befaßt hat („Lohnarbeit und Kapital“), ebenso Publikationen aus dem Nachlaß.

SOZIALISMUS UND SOZIALE BEWEGUNG IM 19. JAHRHUNDERT. Von Werner Som- bart. Eingeleitet von Nicolaus Sombart, Europa-Verlag Wien-Frankfurt-Zürich, 1966. 124 Seiten, S 58.—.

Wenn auch keineswegs ein großes Werk, eo ist die vom Europa-Verlag neuerlich vorgelegte erste Auflage des Sombartschen Sozialismusbuches in einer bestimmten Weise von dokumentarischer Bedeutung; es zeigt, welche Wandlungen ein so bedeutender Gelehrter wie Werner Sombart fähig gewesen ist, jener Gelehrte, der uns später eine historische Darstellung der kapitalistischen Entwicklung vorgelegt hat, die zum klassischen Schrifttum geworden ist.

In seiner ersten Darstellung des Sozialismus, die unsystematisch konzipiert und lediglich Wiedergabe von Redekonzepten ist, war Sombart noch fasziniert vom Pathos des jungen Sozialismus-Marxismus, den er freilich mangels profunder nationalökonomischer Kenntnisse nur deskriptiv zu interpretieren vermochte. Allmählich distanzierte sich aber Sombart von den Idealen seiner Jugend. Die letzte Auflage des Sozialismusbuches (1924), nunmehr zweibändig, zeigt einen völlig gewandelten, eindeutig antisozialistischen Sombart, der sich später sogar ganz „rechts“ etabliert.

Das sehr instruktive Vorwort von Nicolaus Sombart weist übrigens auf

die angedeutete Eigenart im Schaffen Werner Sombarts hin und gibt ausgezeichnete Hinweise, die uns sein Verhalten verständlicher machen können. Das Buch ist jedoch nicht allein Nachdruck eines literarischen Dokuments aus einer bestimmten Gesinnungs- und Interpretationsphase des Gelehrten, sondern auch das erste Werk, in dem ein deutscher Hochschullehrer die Prinzipien des orthodoxen Marxismus geradezu kritiklos verteidigt und ein Tabu durchbricht, während man bis dahin, wie sogar die Kathedersozialisten, wohl die Bedingungen, die das Entstehen des Sozialismus herbeiführen, untersucht, diesen selbst aber nicht zum Gegenstand akademischer Analysen macht.

Das Werk ist also epochaltypisch: Für viele in sozialen Fragen Engagierte war der Sozialismus in der Opposition — in der Situation offenkundiger Ausbeutung der Fabrikarbeiter — ein Teil jener antieta- tistischen oder antikapitalistischen Kräfte, denen sie sich selbst zurechneten, ein Instrument des Protestes, dessen Argumente sie sich selbst auch bedienten, ohne Absicht, gleichsam mit dem Sozialismus zu leben. Die Liebe gehörte eben einem ohnmächtigen Sozialismus, nicht dem Sozialismus an sich. Keineswegs einem Sozialismus an der Macht.

Im einzelnen bringt das Buch gute historische Darstellungen des utopischen Sozialismus, aus der Vorgeschichte des Sozialismus und ebenso aus der Epoche der Konstitution der sozialistischen Internationale. Den Abschluß bildet eine „Chronik der sozialen Bewegung 1750 bis 1896“ sowie ein Brief faksimile.

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